Hans Walser, [20180528]

Sehwinkel bei Kegelschnitten

Anregung: N. Th.-Sch., V.

1     Wie das Problem entstand

Eine klassische Aufgabe im Abiturtraining geht so: Gegeben sind eine Punkt und eine Parabel (Abb. 1a). Gesucht sind die Tangenten von diesem Punkt an die Parabel und der eingeschlossene Winkel (Abb. 1b) (vgl. Weber / Zillmer (2002), S. 66, Aufg. DA 32).

Abb. 1: Die klassische Aufgabe

Nun kehren wir die Frage um: Gegeben sind die Parabel und der Zwischenwinkel der Tangenten. Gesucht ist die Menge der Punkte, fŸr die das geht (Abb. 2).

Abb. 2: Umkehrung

Das Problem kann auch so formuliert werden: Von welchen Punkten aus sehen wir die Parabel unter dem vorgegebenen Winkel?

2     Gibt es Šhnliche Fragen?

Von welchen Punkten aus sehen wir eine Strecke unter einem vorgegebenen Winkel? Die Lšsung ist das Ortsbogenpaar, im Sonderfall des rechten Winkels der Thaleskreis.

Wir kšnnen die Strecke durch ein Polygon ersetzen: von welchen Punkten aus sehen wir das Siebeneck (Abb. 3a) unter einem Winkel von 60¡? Die Lšsung ist der Au§enrand der Kreisfiguration der Abbildung 3b. Die Kreise sind Ortsbogen fŸr den Winkel 60¡ Ÿber den Diagonalen des Siebenecks.

Abb. 3: Siebeneck gesehen unter 60¡

Die Abbildung 4a zeigt zwei verschiedene allgemeine FŠlle, die Abbildung 4b einen Sonderfall.

Abb. 4: Verschiedene FŠlle

Wir werden im Folgenden die Parabel auf Kegelschnitte verallgemeinern: von welchen Punkten aus sehen wir einen Kegelschnitt unter einem vorgegebenen Winkel? ZunŠchst untersuchen wir die Situation fŸr rechte Winkel (Thalesproblem).

3     Rechte Winkel als Sehwinkel

Von welchen Punkten aus sehen wir einen Kegelschnitt unter einem rechten Winkel?

3.1    Kreis

Der Fall des Kreises ist einfach. Wir erhalten einen Kreis, dessen Radius -mal so gro§ ist wie der Radius des gegebenen Kreises (Abb. 5):

Abb. 5: Kreis und rechte Winkel

3.2    Parabel

Die Lšsung ist die Leitlinie der Parabel (Abb. 6). Der Beweis ist eine schšne †bung in Parabelgeometrie.

Abb. 6: Parabel und Leitlinie

Die Leitlinie ist also sozusagen die Thaleskurve der Parabel.

3.3    Ellipse

Wir erhalten interessanterweise einen Kreis (Abb. 7). Bei einer Ellipse mit den Halbachsen a und b hat dieser Kreis den Radius r:

 

                                                                                                                   (1)

 

 

Die Thaleskurve einer Ellipse ist also ein Kreis. Die Ecken der ãUmrechteckeÒ einer Ellipse liegen auf einem Kreis.

Abb. 7: Ellipse und Kreis

SonderfŠlle:

a)   FŸr b = 0 wird die Ellipse zu einer Strecke und wir erhalten den gewšhnlichen Thaleskreis.

b)  FŸr a = b ist die Ellipse ein Kreis und wir erhalten den Sonderfall der Abbildung 5.

3.4    Hyperbel

Wir erhalten – wer hŠtte das gedacht – wieder einen Kreis (Abb. 8). Allerdings, und jetzt kommt ein gro§es aber: von den Punkten dieses Kreises aus sehen wir die Hyperbel nicht unter einem Winkel von 90¡, sondern unter einem Winkel von 270¡ (hellblau in Abb. 8). Wir brauchen also eine Fischaugenkamera.

Abb. 8: Hyperbel und Kreis

4     Beliebige Winkel als Sehwinkel

Wir bezeichnen den vorgegebenen Sehwinkel mit . Der Winkel  ist also der halbe Sehwinkel. Diese Schreibweise vereinfacht die folgenden Formeln.

4.1    Kreis

Der Fall ist trivial. Wir erhalten einen Kreis. Sein Radius ist das -fache des ursprŸnglichen Kreisradius.

4.2    Parabel

4.2.1   Allgemein

Die gesuchten Punkte liegen auf einem Hyperbelast (Abb. 9).

Auf dem zweiten Hyperbelast (magenta in Abb. 9) liegen die Punkte, von denen aus die Parabel unter dem Winkel  gesehen wird.

Abb. 9: Parabel und Hyperbelast

FŸr den rechnerischen Nachweis arbeitete ich mit der Parabel p:

 

                                                                                                                       (2)

 

 

Die Parabel p hat den Brennpunkt  und die Leitlinie .

Vorgehen zum Auffinden der Lšsung:

a)     Auf Grund von Beispielen vermuten wir, dass es sich um eine querliegende Hyperbel handelt. Der untere Hyperbelast ist dabei die Lšsung fŸr einen spitzen Winkel , der obere Hyperbelast die Lšsung fŸr seinen stumpfen Nebenwinkel. Der eine Brennpunkt der Hyperbel fŠllt mit dem Brennpunkt der Parabel p zusammen

b)    Berechnung einzelner Punkte (mit Symmetrie-†berlegungen). Es werden die Scheitelpunkte  und  der Hyperbel berechnet.

c)     Berechnung der Hyperbelgleichung.

d)    Verifikation, dass Lšsung. Diesen letzten Schritt habe ich mit DGS gemacht.

e)     Andere Lšsungen mit einer NiveaulinienŸberlegung ausschlie§en.

Zu b): Wir berechnen den zu einem spitzen Winkel  gehšrenden Scheitelpunkt  der Hyperbel. Hilfreich dazu ist der in der Abbildung 10 in orange eingezeichnete Rhombus. Er ergibt sich aus der Brennpunkt-Leitlinie-Definition der Parabel und der Reflexionseigenschaft der Parabeltangente. Seine Ecken sind der Brennpunkt , der BerŸhrungspunkt der Tangente an die Parabel, der Lotfu§punkt auf die Leitlinie und der Punkte  auf der y-Achse. Der Rhombus hat den spitzen Winkel . Sein Mittelpunkt liegt auf der x-Achse.

Abb. 10: Scheitelpunkt

Mit Hilfe der gelb und zyan eingezeichneten rechtwinkligen Dreiecke ergibt sich (man beachte die Kontangens-Funktion):

 

                                                                                                       (3)

 

 

Analog ergibt sich fŸr den Scheitelpunkt :

 

                                                                                                       (4)

 

 

Mit dem Brennpunkt  und den beiden Scheitelpunkten  und  haben wir jetzt ausreichend Informationen zur Bestimmung der Hyperbel.

Wir erhalten:

Zweiter Brennpunkt:

 

                                                                             (5)

 

 

Achsen:

 

                                                (6)

 

 

Mittelpunkt:

 

                                                               (7)

 

 

Hyperbelgleichung:

 

                                                                                               (8)

 

 

Nun kšnnen wir von einem Punkt auf der Hyperbel (8) ausgehend die Tangenten an die Parabel (2) anlegen und feststellen, dass deren Zwischenwinkel  ist.

Die Abbildung 11 zeigt die Hyperbelschar fŸr . Die Kurven sind eine Art Niveaulinien fŸr .

Abb. 11: Hyperbelschar

4.2.2   Schulbeispiel

Gesucht ist die Menge der Punkte, von denen aus die Parabel  unter einem Winkel von 60¡ gesehen wird.

GemŠ§ (7) und (8) erhalten wir die Hyperbel:

 

                                                                                               (9)

 

 

Die Abbildung 12 zeigt die Situation.

Abb. 12: Schulbeispiel

4.3    Ellipse

Die Abbildung 13 zeigt zwei Beispiele.

Abb. 13: Ellipse

Die gesuchte Punktmenge ist kein Kegelschnitt mehr.

4.4    Hyperbel

Bei der Hyperbel wird die Sache spannend. Die Punktmenge zerfŠllt in zwei Kurven, keine ein Kegelschnitt.

Im Beispiel der Abbildung 14a werden beide €ste der Hyperbel im ErgŠnzungswinkel des vorgegebenen Winkels auf 306¡ gesehen. Im Beispiel der Abbildung 14b sehen wir einen Ast der Hyperbel unter dem Nebenwinkel des vorgegebenen Winkels.

Abb. 14: Hyperbel

Im Beispiel der Abbildung 15a sehen wir einen Ast unter dem vorgegebenen Winkel. Im Beispiel der Abbildung 15b sehen wir beide €ste unter einem Winkel, der aus dem vorgebebenen Winkel plus einem Winkel von 180¡ besteht.

Abb. 15: Hyperbel

Literatur

Weber, Karlheinz und Zillmer, Wolfgang (2002): Mathematik Gymnasiale Oberstufe. Grundkurs Aufgabenbuch. Analysis, Analytische Geometrie und Lineare Algebra. Stochastik. Berlin – Frankfurt M: Duden Paetec Schulbuchverlag. ISBN 3-89818-110-3.