Hans Walser, [20160108]

Rundes Rad

Damals wurde das Rad neu erfunden.

Ausgehend von der Feststellung, dass kein reales Rad völlig rund ist, versuchte man zunächst, die Rundheit zu verbessern. Man sprach vom runderen Rad. Allerdings waren auch diese runderen Räder nicht ganz rund. Daher wurde die Rundheit nicht mehr als Eigenschaft, sondern als Konzept des Rades verstanden.

Um dieses neue Konzept des Rades vom früheren Begriff des Rades abzuheben, wurde es erforderlich, vom runden Rad zu sprechen. Landauf landab wurden viele Vorträge vor Automechanikern gehalten, welche das Mehrwort „rundes Rad“ schon im Abstract enthielten. Insbesondere wurde auf den Mehrwert des runden Rades hingewiesen.

Dann entstand ein Glaubenskrieg.

Die Altgläubigen wiesen darauf hin, dass Rundheit bereits im Begriff des Rades enthalten sei und daher nicht mehr explizit erwähnt werden müsse. Die Altgläubigen verstanden sich als Unitarier, da es nur einen Begriff Rad gebe. Sie gaben aber zu, dass die realen Räder nie ganz rund sind.

Die Neugläubigen hingegen verstanden sich als Binitarier. Rad und Rundheit seien zwei verschiedene Begriffe, aber wesenseins. Sie räumten allerdings ein, dass vollkommende Rundheit in der realen Welt nur als Konzept existiert. Vor allem die Velomechaniker verstanden sich als Binitarier.

Der Glaubenskrieg wurde mit großer Heftigkeit geführt. Er richtete emotionalen, finanziellen und politischen Schaden an. Er führte aber auch dazu, dass die Räder von Vertretern beider Glaubensrichtungen neu überprüft und verbessert wurden, so dass sie besser rollten. Mit der Zeit allerdings flaute der Streit ab und geriet schließlich in Vergessenheit.

Geblieben ist die Sprechweise, ein Zweirad einfach als Rad zu bezeichnen.