Hans Walser, [20150129]

Kopunktale Geraden

1     Worum geht es?

In der Schule lernt man, dass sich die drei Schwerlinien eines Dreieckes in einem Punkt schneiden, dem Schwerpunkt. Wir fragen nun umgekehrt: Wie findet man zu drei Geraden, die sich in einem Punkt schneiden (so genannte kopunktale Geraden) ein passendes Dreieck mit den drei gegebenen Geraden als Schwerlinien?

Analoge Frage fŸr weitere spezielle Punkte im Dreieck.

Die Lšsungen sind immer nur bis auf €hnlichkeit machbar.

Die Lšsungen basieren auf Schlie§ungsfiguren und lassen Verallgemeinerungen zu.

2     Schwerpunkt und Schwerlinien

Gegeben sind drei Geraden  mit einem gemeinsamen Schnittpunkt S (Abb. 1). Gesucht ist ein passendes Dreieck .

 

Abb. 1: Schwerlinien vorgegeben

 

Wir wŠhlen den Punkt  auf  und ergŠnzen zum Parallelogramm  gemŠ§ Abbildung 2.

 

Abb. 2: Parallelogramm einpassen

 

Nun fŸgen wir ein zweites und ein drittes Parallelogramm gemŠ§ Abbildung 3 ein. Wir erhalten eine Schlie§ungsfigur. Das Dreieck  lšst unser Problem, ebenso das Dreieck . Der Nachweis ergibt sich dadurch, dass sich die Diagonalen im Parallelogramm gegenseitig halbieren.

 

Abb. 3: Lšsungen

 

3     Hšhen und Mittelsenkrechte

3.1    Hšhen

Wir wŠhlen den Punkt  auf  (Abb. 4) und fŠllen das Lot auf . Der Schnittpunkt der Lotgeraden mit  ist .

 

Abb. 4: Hšhen gegeben

 

Entsprechend fahren wir weiter und erhalten eine Schlie§ungsfigur, welche das Problem lšst (Abb. 5).

 

Abb. 5: Lšsung

 

3.2    Mittelsenkrechte

Mittelsenkrechte und Mittelsenkrechtenschnittpunkt eines Dreieckes sind zugleich Hšhen und Hšhenschnittpunkt im zugehšrigen Kantenmittendreieck. Wir konstruieren daher zunŠchst analog zum Vorgehen in der Abbildung 5 das Kantenmittendreieck  und ergŠnzen dieses zum Dreieck (Abb. 6).

 

Abb. 6: Mittelsenkrechte

 

4     Winkelhalbierende

Dazu brauchte ich etwas Rechnung. An den Ecken  haben wir die entsprechenden Dreieckwinkel . Weiter fŸhren wir die drei Winkel  gemŠ§ Abbildung 7 ein.

 

Abb. 7: Bezeichnungen

 

Mit diesen Bezeichnungen ist:

 

 

Wegen  ergibt sich:

 

 

Somit ist:

 

 

Daher ergibt sich folgende Konstruktion: Wir subtrahieren von  einen rechten Winkel und erhalten so . Diesen Winkel tragen wir in einem auf  gewŠhlten Punkt  ab (Abb. 8).

 

Abb. 8: Halber Dreieckswinkel

 

Damit kšnnen wir  konstruieren und  durch Weiterspiegeln  (Abb. 9). Wir haben erneut eine Schlie§ungsfigur.

 

Abb. 9: Konstruktion des Dreieckes

 

5     Verallgemeinerungen

5.1    Schlie§ungsfigur mit Parallelogrammen

Das entspricht der Lšsung bei drei kopunktalen Geraden, welche Schwerlinien werden sollen.

5.1.1   Vier kopunktale Geraden

Mit vier kopunktalen Geraden erhalten wir keine Schlie§ungsfigur, sondern eine Spirale (Abb. 10). In welchen SonderfŠllen gibt es trotzdem eine Schlie§ungsfigur?

 

Abb. 10: Spirale bei vier kopunktalen Geraden

 

5.1.2   FŸnf kopunktale Geraden

Bei fŸnf kopunktalen Geraden ergibt sich eine Schlie§ungsfigur (Abb. 11a).

 

Abb. 11a: Schlie§ungsfigur

 

FŸr den Beweis der Schlie§ungseigenschaft verwenden wir die Bezeichnungen der Abbildung 11b.

 

Abb. 11b: Bezeichnungen

 

Wir verwenden den Sinussatz in den halben Parallelogrammen. ZunŠchst ist:

 

 

Analog finden wir:

 

 

Man beachte den ParitŠtssprung nach der ersten halben Runde. Dieser ParitŠtssprung tritt immer bei einer ungeraden Zahl von Geraden auf.

Nun kšnnen wir einsetzen und kŸrzen:

 

 

Der ParitŠtssprung erlaubt das vollstŠndige KŸrzen. Wegen  schlie§t sich die Figur.

Man kann die Figur mit weiteren Parallelogrammen zu einer ãschšnenÒ Figur ergŠnzen (Abb. 12).

 

Abb. 12: ErgŠnzung mit weiteren Parallelogrammen

 

Die nŠchste Runde von Parallelogrammen geht nach innen (Abb. 13).

 

 

Abb. 13: Weitere Parallelogramme

Und schlie§lich schlie§t sich die Figur (Abb. 14).

 

Abb. 14: Schlie§ungsfigur

 

5.1.3   Sechs kopunktale Geraden

Bei sechs kopunktalen Geraden ergibt sich wieder eine Spirale (Abb. 15).

 

Abb. 15: Sechs kopunktale Geraden

 

5.1.4   Sieben kopunktale Geraden

Bei sieben kopunktalen Geraden ergibt sich wieder eine Schlie§ungsfigur (Abb. 16), die wir mit weiteren Parallelogrammen ergŠnzen kšnnen (Abb. 17).

 

Abb. 16: Sieben kopunktale Geraden

 

Abb. 17: ErgŠnzung mit Parallelogrammen

 

5.1.5   ParitŠtsproblem

Offenbar gibt es bei einer ungeraden Anzahl von Geraden eine Schlie§ungsfigur, bei einer Geraden Anzahl eine Spirale.

5.2    Schlie§ungsfigur mit Orthogonaltrajektorien

Es ergibt sich wieder der ParitŠtsunterschied.

5.2.1   Gerade Anzahl kopunktaler Geraden

Wir erhalten im Regelfall eine Spirale (Abb. 18).

 

Abb. 18: Spirale

 

5.2.2   Ungerade Anzahl kopunktaler Geraden

Nun ergibt sich eine Schlie§ungsfigur. Der Beweis kann mit Trigonometrie erbracht werden (Walser 2011, S. 32, 33, 70-72).

 

Abb. 19: Schlie§ungsfigur

 

5.3    Schlie§ungsfiguren mit Spiegelungen

Wir beginnen mit einer Geraden mit einem beliebigen Winkel zu einer der drei vorgegebenen kopunktalen Geraden und spiegeln dann fortlaufend an den kopunktalen Geraden.

Es zeigt sich wiederum eine ParitŠtsunterscheidung.

5.3.1   Ungerade Anzahl Geraden

Wir haben eine Schlie§ungsfigur mit einer PeriodenlŠnge, die doppelt so gro§ wie die Anzahl der Geraden ist. Die Abbildung 20 zeigt die Situation bei drei Geraden.

 

Abb. 20: Drei Geraden

 

Die Schlie§ungseigenschaft ergibt sich daraus, dass die sukzessive Spiegelung an einer ungeraden Anzahl kopunktaler Geraden auf eine einzige Geradenspiegelung reduziert werden kann. Zweimalige Anwendung dieser Abbildung ist dann die IdentitŠt.

Die Figur hat einen Inkreis (Abb. 21).

 

Abb. 21: Inkreis

 

5.3.2   Gerade Anzahl Geraden

Die sukzessive Spiegelung an einer geraden Anzahl kopunktaler Geraden ist eine Drehung um den gemeinsamen Schnittpunkt. Der Drehwinkel ist das Doppelte der Summe von Schnittwinkeln aufeinanderfolgender Geradenpaare. Falls der Drehwinkel in einem rationalen VerhŠltnis zum vollen Winkel steht, haben wir eine Schlie§ungsfigur, sonst nicht. Im Regelfall also nicht. Die Abbildung 22 zeigt den einfachsten Fall mit zwei Geraden. Die Figur hat einen Inkreis.

 

Abb. 220:Schlie§ungsfigur?

 

 

Literatur

Walser, Hans (2011): Geometrische Miniaturen. Figuren – Muster – Symmetrien. Leipzig. EAGLE, Edition am Gutenbergplatz. ISBN 978-3-937219-42-4.