Hans Walser, [20100915a]

Die kopernikanische Wende

Anregungen: A. F., B. und M. S., F.

1        Worum geht es?

Es werden zwei Beispiele elementarer Bewegungs-Aufgaben vorgestellt, bei denen ein Perspektivenwechsel zu einer einfacheren Lšsung fŸhrt.

2        Historisches

Im geozentrischen Weltbild, das PtolemŠus im Almagest vorstellte, wurden etwa 80 Epizykel benštigt, um die Planetenbahnen auf (Ÿberlagerte) Kreisbewegungen zurŸckzufŸhren. Der Wechsel zum heliozentrischen Weltbild durch Kopernikus vereinfachte die Beschreibung der Planetenbahnen (vgl. [Wu§ing 2010], S. 51-54).

3        Beispiele aus der Bewegungsgeometrie

3.1      Die abrutschende Leiter

An einer Hauswand steht eine schrŠg angelehnte Leiter AB. Wo bewegt sich der Mittelpunkt M dieser Leiter, wenn sie abrutscht?

SchrŠge Leiter

Im geozentrischen Weltbild bleiben Boden und Hauswand fest, wŠhrend sich die Leiter und damit der Punkt M bewegen. Gesucht ist die Bahnkurve des Punktes M relativ zu Boden und Wand.

Wir Šndern nun die Perspektive und gehen zu einem leiterzentrischen Weltbild Ÿber. Die Leiter bleibt also fest. Hingegen bewegen sich Boden und Hauswand. Illustration: Ein Kiltbub befindet sich auf halber Leiterhšhe, da beginnt die Leiter zu rutschen. Er klammert sich an die Leiter und sieht durch die Sprossen hindurch, wie ihm die Hauswand auf den Kopf zu fallen droht. Und oben lacht das MŠdi zum Fenster heraus. 

Der Fu§punkt C der Wand bewegt sich auf dem Thaleskreis Ÿber der Leiter AB. Dieser Thaleskreis hat das Zentrum M. Der Abstand CM ist also konstant und ist gleich der halben LeiterlŠnge.

3.2      Der wegrollende Inkreis

Von einem Dreieck ABC seien die Eckpunkte A und B fixiert, ebenfalls ist der Inkreisradius gegeben. Auf welcher Kurve bewegt sich die Ecke C, wenn der Inkreis auf der Grundseite AB hin und her rollt?

Wir arbeiten exemplarisch mit den Daten: ,  und dem Inkreisradius 1. Die Abbildung zeigt, welche Ortslinie sich mit DGS (Cabri) fŸr C ergibt.

Geozentrische Sicht der Ortslinie

Der obere Ast der Kurve sieht scheinbar nach Hyperbel aus, im unteren Ast, der seinerseits aus zwei Teilen besteht, werden wir eines anderen belehrt. Mit diesem unteren Ast hat es folgendes auf sich: Solange der Inkreismittelpunkt sich im Innern des in der Abbildung eingezeichneten Thaleskreises Ÿber AB befindet, haben wir einen Inkreis. Wenn aber der Inkreismittelpunkt aus diesem Bereich herausrollt, mutiert der Kreis zu einem Ankreis. Dies kann mit WinkelŸberlegungen gezeigt werden. Der Punkt C liegt dann auf dem unteren Ast. Im Grenzfall mit dem Inkreiszentrum auf dem Thaleskreis ergeben sich zwei parallele TrŠgergeraden fŸr die Dreiecksseiten a und b. Der Punkt C ist dann ein uneigentlicher Punkt. Daher die Asymptoten der Kurve.

Ankreis

Die Ortskurve kann wie folgt parametrisiert werden. Als Parameter t verwenden wir die x-Koordinate des Inkreismittelpunktes. Dieser hat also die Koordinaten . Damit erhalten wir die Dreieckswinkel:

 

 

 

Nun kšnnen wir fŸr die Ecke C einen VorwŠrtseinschnitt machen. FŸr die Hšhe h des Dreieckes ABC und den von A ausgehenden Abschnitt p bis zu Hšhenfu§punkt ergeben sich:

 

 

 

Unter BerŸcksichtigung der Koordinaten von A und B erhalten wir fŸr die Kurve die Parametrisierung:

 

 

 

Die Abbildung zeigt die CAS-generierte Kurve.

Kurve

FŸr  ergibt sich der obere Ast, fŸr  beziehungsweise  ergeben sich die beiden Teile des unteren Astes. FŸr  erhalten wir uneigentliche Punkte. Die Kurve ist zwar schšn, aber keine Hyperbel.

Nun machen wir wiederum die kopernikanische Wende, indem wir den Inkreis festhalten und die Strecke AB unter Beibehaltung ihrer LŠnge unter dem Inkreis horizontal hin und her rutschen lassen.

Dann ergibt sich als Ortslinie fŸr C die (gleichseitige) Hyperbel mit der Gleichung:

 

Die Gleichseitigkeit der Hyperbel ist nicht spezifisch fŸr die Aufgabe, sondern ergibt sich aus den gewŠhlten Anfangsdaten.

Inkreiszentrische Sicht der Ortskurve: Hyperbel

Im Unterricht kann das so verifiziert werden, dass wir mit der Hyperbel beginnen, auf der Hyperbel einen variablen Punkt C wŠhlen und dann die LŠnge des Schlagschattens des festen Inkreises auf die Gerade  bei Zentralbeleuchtung von C aus messen. Seine LŠnge AB ist konstant .

FŸr C auf dem unteren Ast erhalten wir die Ankreis-Situation.

Ankreis

Aus der inkreiszentrischen Konstruktion ergibt sich folgende Parametrisierung der Kurve. Den Parameter t wŠhlen wir so, dass der Punkt  der Mittelpunkt der Strecke AB ist. Dann ist:

 

 

 

Weiter ist:

 

 

 

Weiter wie im geozentrischen Fall:

 

 

 

Unter BerŸcksichtigung der Koordinaten von  und  erhalten wir fŸr die Kurve die Parametrisierung:

 

 

 

Die Abbildung zeigt rot die CAS-generierte Kurve. Zu Vergleichszwecken wurde die durch  generierte Hyperbel in gelb unterlegt.

Hyperbel

Wer Lust hat, kann die formalen Beweise nachliefern, mšglichst fŸr den allgemeinen Fall.

Literatur

[Wu§ing 2010]           Wu§ing, Hans: Von Leonardo da Vinci bis Galileo Galilei. EAGLE-GUIDE. EAGLE 041. Leipzig: Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2010. ISBN 978-3-937219-41-7.