Hans Walser, [20071228e], [20131230a]

Bart des Archimedes

Anregung: [Netz/Noel 2007]

1        Worum es geht

Archimedes pflegte seine gelehrten Besucher mit der Frage zu nerven, wie gro§ der rote Anteil an der gesamten KreisflŠche sei.

Wie gro§ ist der rote Anteil am Kreis?

Die blaue Trennkurve zwischen den Farben ist eine so genannte archimedische Spirale. Der Abstand vom Kreiszentrum nimmt gleichmŠ§ig zu.

Wir kšnnen das Problem des Archimedes auf verschiedene Weisen angehen.


2        Von der Mitte aus

2.1      Radien

Wir fŠrben die von der Mitte ausgehenden Radien rot und grŸn ein.

Farbige Radien

Jetzt brauchen wir nur noch den Rotanteil auf den Radien zu bestimmen. Dazu stellen wir die Radien nebeneinander. Wir sehen nochmals sehr schšn, wie der Abstand vom Mittelpunkt, der Rotanteil also, gleichmŠ§ig wŠchst. Die archimedische Spirale ist also so zu sagen eine aufgewickelte schrŠge Gerade.

Rot-grŸner Lattenzaun

Die HŠlfte ist rot — das kannÕs wohl nicht sein. Richtig, wir haben Ÿbersehen, dass im KreisfŠcher die ZwischenrŠume von innen nach au§en zunehmen: im Lattenzaun haben wir Ÿberall gleiche ZwischenrŠume.


2.2      Sektoren

Statt mit Radien mŸssen wir mit Sektoren arbeiten.

Rot-grŸne Sektoren

Wenn wir die nun aufreihen, sieht das so aus:

Sektoren in Reih und Glied

Wir sehen qualitativ deutlich, dass der rote Anteil weniger als die HŠlfte ist.

2.2.1    Zwischenbemerkung und Sackgasse

Wir kšnnen die roten Spitzen umgekehrt in die Spalten des grŸnen Feldes versenken, die Spitze ganz rechts in das Loch ganz links und so weiter. Das geht schšn auf, und am Schluss haben wir ein Dreieck, dessen BasislŠnge der Umfang des Kreises ist, also , und dessen Hšhe der Kreisradius r. Somit hat das Dreieck den FlŠcheninhalt ; das ist — rot und grŸn zusammen — auch der FlŠcheninhalt des Kreises. Das habe wir aber eh schon in der Schule gelernt, und fŸr die Frage des Archimedes, wie gro§ der Rotanteil nun wirklich ist, hilft es nicht weiter.

2.3      Der Sprung in den Raum

Wir drehen nun die Sektoren um ihre senkrechte Symmetrieachse um 90¡. Ich stelle mir das vor wie stehende Lamellen, welche um die senkrechte Mittelachse drehbar sind. Solche Lamellen finden sich als Windschutz entlang von deutschen Autobahnen.

Wir verlassen damit die Ebene und haben eine rŠumliche Figur. Die rot-grŸnen Sektoren stehen wie Dominosteine hintereinander.

Gestaffelte Sektoren

Wir haben nun ein Dreikant-Prisma.

               

Dreikant-Prisma

Das Dreikant-Prisma ist durch eine schrŠge Ebene in zwei Teile geteilt, der obere, offensichtlich kleinere, Teil ist rot, der untere grŸn. Unsere Aufgabe besteht jetzt noch darin, den Volumenanteil des roten Teils am ganzen Dreikant-Prisma zu bestimmen.

Wenn wir das Prisma in irgend eine Richtung auseinander ziehen oder zusammenpressen (das sind so genannte affine Verzerrungen), Šndern sich zwar die Volumina, nicht aber die Volumenanteile. Wir kšnnen daher das Prisma so verzerren, dass es zu einem halben WŸrfel wird.

    

Halber WŸrfel

Der rote Teil ist ein unregelmŠ§iges Tetraeder, der restliche grŸne Teil eine Pyramide, deren Spitze sich senkrecht Ÿber einer Ecke der quadratischen GrundflŠche befindet. Nun zerlegen wir das Dreikant-Prisma. ZunŠchst entfernen wir das rote Tetraeder.

Das rote Prisma wird entfernt


Dann halbieren wir die verbleibende Pyramide durch die senkrechte Symmetrieachse. Es entstehen zwei gleichgro§e symmetrische grŸne Tetraeder.

Halbierung der Pyramide

Schlie§lich entfernen wir noch eines der beiden grŸnen Tetraeder.

Entfernung eines grŸnen Tetraeders

Wenn wir das rote Tetraeder wieder zurŸckschieben, erkennen wir, dass es spiegelbildlich zum verbliebenen grŸnen Tetraeder ist.

Wir haben also drei kongruente Tetraeder; das Volumen des roten Tetraeders ist also ein Drittel des Volumens des Prismas.

Daher ist der rote SpiralflŠchenanteil ein Drittel der KreisflŠche.

Wir haben somit das Problem des Archimedes gelšst, ohne etwas Ÿber die KreisflŠche zu verwenden. Insbesondere brauchten wird nirgends die Kreiszahl ¹. Es ist auch Ÿberraschend, dass sich ein FlŠchenproblem Ÿber eine Volumenbetrachtung lšsen lŠsst.


2.4      Schnittmuster

Im Anhang sind Schnittmuster fŸr die in unseren †berlegungen verwendeten Tetraeder angegeben.

    

Beispiel eines Schnittmusters. Rotes Tetraeder

Das Basteln geht so: Ausschneiden und an allen Innenlinien krŠftig vorfalten. Die vier satt gefŠrbten Dreiecke sind die Au§endreiecke des Tetraeders. Die drei hell getšnten funktionieren als Stecklaschen. Sie kšnnen auch kŸrzer geschnitten und als Klebelaschen verwendet werden.

Mit dem ersten roten und den beiden grŸnen Schnittmustern kšnnen die Bauteile fŸr unsere †berlegungen gebaut werden. Mit dem zweiten roten und den beiden blauen Schnittmustern kann eine analoge spiegelbildliche Figur gebaut werden. Die beiden Figuren lassen sich zum WŸrfel ergŠnzen. Mit zwei weiteren Tetraedern kann eine Pyramide gebaut werden, deren Hšhe die HŠlfte der Grundkante ist.

    

WŸrfel und Pyramide


2.5      Andere archimedische Spiralen

Wenn die archimedische Spirale schneller nach au§en geht, ist der rote FlŠcheninhalt ein Drittel der zugehšrigen KreissektorflŠche.

Variante

Wenn die archimedische Spirale mehr als eine Runde macht, mŸssen wir entsprechend mit †berlappungen arbeiten.

3        Rund gehtÕs

3.1      FŠrben mit Kreisbšgen

Wir kšnnen die FlŠche der archimedischen Spirale auch mit Kreisbšgen fŠrben.

Da die ZwischenrŠume zwischen den Bšgen gleichmŠ§ig sind, kšnnen wir die Bšgen direkt zur FlŠchenmessung nutzen (linkes Bild). Wir stellen zunŠchst fest, dass die roten BogenlŠngen au§en und innen klein sind, in der Mitte aber gro§.

Jeder Kreis ist zuerst grŸn und dann rot. Der Farbwechsel erfolgt proportional zum Radius  des betreffenden rot-grŸnen Kreises. Der grŸne Bogen entspricht , der rote Bogen daher . Da ein rot-grŸner Kreis vom Radius  den vollen Umfang  hat, ist die LŠnge des roten Bogens darauf .

3.2      AuskŠmmen

Wenn wir die rot-grŸnen Kreise oberhalb der horizontalen blauen Linie abrasieren und alles nach unten fallen lassen, ergibt sich das rechte Bild. Die KreisflŠche wird zu einem rechtwinkligen Dreieck, dessen kurze Kathete der Kreisradius r ist und dessen lange Kathete der Kreisumfang . Die DreiecksflŠche — und damit auch die KreisflŠche — ist also .

Der rote Bart im Dreieck

Uns interessiert aber der rote Bart. Sein Umriss scheint eine Parabel zu sein. Wir habe oben festgestellt, dass ein rotes Barthaar die LŠnge  hat. Das ist tatsŠchlich eine quadratische Funktion in . Das lŠngste Barthaar ist in der Mitte fŸr ; seine LŠnge ist , also gerade ein Viertel des Kreisumfanges. Das kšnnen wir auch unmittelbar geometrisch einsehen: der mittlere rote Kreisbogen ist genau ein Halbkreis und hat den halten Radius wie der Kreis.

3.3      Integration wie in der Schule

FŸr die BartflŠche kšnnen wir jetzt handfeste Integrationsrechnung anwenden:

 

 

Das ist ein Drittel der KreisflŠche.

3.4      Geometrie

Soweit so gut. Schšner ist es geometrisch: Wir schneiden im Dreieck, das der KreisflŠche entspricht, auf halber Hšhe waagerecht durch und setzen das unten abgeschnittene Teil mit Spitze nach oben links an. Dann haben wir ein Rechteck, das doppelt so hoch ist wie die LŠnge des lŠngsten Barthaares (linkes Bild). Wir kšnnen auch die untere HŠlfte, die rein grŸn ist, abschneiden (rechtes Bild).

Parabel im Rechteck

Archimedes hat mit subtilen †berlegungen gezeigt, dass eine ParabelflŠche, die so in ein Rechteck eingepasst werden kann wie auf dem rechten Bild, genau zwei Drittel der RechtecksflŠche ausmacht. Bezogen auf das linke Bild ist das ein Drittel der RechtecksflŠche und somit ein Drittel der KreisflŠche.

3.5      Wie gro§ ist ¹?

Vor Jahrzehnten hat mich einmal eine SchŸlerin wŠhrend einer Klausurarbeit gefragt: ãIst es egal, was man fŸr  einsetzt?Ò In unseren †berlegungen wŠre es wirklich egal gewesen; der Anteil der SpiralenflŠche an der KreisflŠche ist immer ein Drittel, unabhŠngig vom Zahlwert fŸr ¹.

3.6      Der Barbier von Syrakus

Wir setzen den Bart in die Mitte und zwirbeln ihn dann hŠlftig links und rechts wieder auf. Der Schnurrbart bedeckt einen Drittel der KreisflŠche.

Schnurrbart

 

Literatur

[Netz/Noel 2007]        Netz, Reviel und Noel,William: Der Kodex des Archimedes. Das berŸhmteste Palimpsest der Welt wird entschlŸsselt. Aus dem Englischen von Thomas Filk. 2. Auflage. MŸnchen: Verlag C. H. Beck 2007. ISBN 978 3 406 56336 2

Anhang: Schnittmuster fŸr Tetraeder

Rotes Tetraeder

Spiegelbildliches rotes Tetraeder

GrŸnes Tetraeder

Spiegelbildliches grŸnes Tetraeder

Blaues Tetraeder

Spiegelbildliches blaues Tetraeder

Magenta Tetraeder

Spiegelbildliches magenta Tetraeder