Hans Walser

Vom Strahlensatz zum Strahlensatz

Arbeitstagung SLA 1

PH St. Gallen, 14. November 2015

www.walser-h-m.ch/hans/Vortraege/Vortrag89_3

Zusammenfassung

Ein Faltspiel und ein Spiel mit rechten Winkelhaken fŸhren beide zu einem symmetrischen PhŠnomen, welches im Lehrplan nicht kodifiziert ist. Der (asymmetrische) Strahlensatz erweist sich als Grenzfall.

Die †berlegungen wurden angeregt durch einen didaktischen Fehler in einem Arbeitsblatt fŸr das 8. Schuljahr. 

1        Faltgeometrie

Auf der RŸckseite eines Blattes (Querformat) tragen wir am unteren Rand zwei mal drei Marken ein (Abb. 1a). Dann wenden wir das Blatt und wŠhlen einen Punkt (Abb. 1b).

 

Abb. 1: Zwei mal drei Marken. Punkt wŠhlen

 

Nun falten wir die erste Markierung auf den Punkt ein und wieder zurŸck (Abb. 2).

 

Abb. 2: Erster Faltschritt

 

Nun falten wir die zweite, dritte, ...  Markierung auf den Punkt ein und wieder zurŸck.

So erhalten wir zwei Scharen von je drei Faltlinien (Abb. 3a). Die wechselseitigen Schnittpunkte teilen jeweils auf jeder Schar im gleichen VerhŠltnis (Abb. 3b). Das ist auch das VerhŠltnis der ursprŸnglich gewŠhlten Marken (Abb. 1a).

 

Abb. 3: Faltlinien. TeilverhŠltnisse

 

Diese Situation erinnert an den Strahlensatz. In der Strahlensatzfigur haben wir aber einerseits eine Schar von parallelen Geraden und andererseits eine Schar von Geraden durch einen Punkt. Das sind begrifflich asymmetrische Vorgaben. Die Satzaussage ist aber symmetrisch: in beiden Geradenscharen sind je entsprechende TeilverhŠltnisse gleich. Die Faltfigur der Abbildung 3b ist begrifflich symmetrisch.

2        Winkeleisen

Ebenso erhalten wir eine begrifflich symmetrische Figur mit ãWinkeleisenÒ, wie sie von Handwerkern verwendet werden. Dazu beginnen wir beginnen mit einem Punkt F und einer nicht durch F verlaufenden Geraden t. Nun passen wir gemŠ§ Abbildung 4 zwei Sets von je drei rechten Winkeln (rote und blaue ãWinkeleisenÒ) ein so, dass die Scheitel der rechten Winkel auf t liegen und jeweils ein Schenkel durch F verlŠuft. Die anderen Schenkel schneiden sich wechselseitig.

 

Abb. 4: Winkeleisen

 

Diese Schnittpunkte unterteilen die roten Schenkel im gleichen VerhŠltnis. Im Beispiel der Abbildung 4 ist es das VerhŠltnis 2:1. Ebenso unterteilen sie die blauen Schenkel im gleichen VerhŠltnis. Im Beispiel der Abbildung 4 ist es das VerhŠltnis 5:2.

Wir sind geneigt in unserem Anschauungsraum die Figur rŠumlich zu interpretieren. Dann allerdings haben wir das GefŸhl, dass die auf uns zukommende Ebene nach unten hŠngt. Das hŠngt damit zusammen, dass die Figur keine perspektivische Darstellung ist.

FŸr den Beweis legen wir ein Koordinatensystem gemŠ§ der Abbildung 5 zugrunde. Als x-Achse wŠhlen wir die Gerade t. Der Punkt F habe die Koordinaten F(0, 1). Wir wŠhlen exemplarisch einen roten Winkel mit dem Scheitelpunkt (a, 0) und einen blauen Winkel mit dem Scheitelpunkt (b, 0).

 

 

Abb. 5: Koordinaten

 

Der zweite rote Schenkel hat die Gleichung , der zweite blaue Schenkel die Gleichung . FŸr den Schnittpunkt S der beiden Schenkel ergeben sich die Koordinaten . Summe und Produkt, die beiden einfachen Gottesgaben.

Die drei roten Winkel und die drei blauen Winkel der Abbildung 1 nummerieren wir mit  beziehungsweise . Die Scheitel dieser Winkel seien bei  beziehungsweise .

Der Punkt  als Schnittpunkt des i-ten roten Schenkels mit dem j-ten blauen Schenkel hat die Koordinaten .

Nun berechnen wir das TeilverhŠltnis auf dem i-ten roten Schenkel:

FŸr die Strecke  erhalten wir:

 

 

 

Analog ergibt sich fŸr die Strecke :

 

 

Bei der VerhŠltnisbildung kŸrzt sich der Wurzelfaktor heraus:

 

 

Wir sehen, dass das TeilverhŠltnis unabhŠngig vom Index i ist, das hei§t, es ist auf allen roten Schenkeln gleich. Es ist zudem gleich dem TeilverhŠltnis der Scheitel der drei blauen Winkel.

Aus SymmetriegrŸnden gilt das Analoge fŸr die TeilverhŠltnisse auf den blauen Schenkeln.

3        Link zum Strahlensatz

Wir modifizieren die Figur der Abbildung 4, indem wir mit dem Punkt F gegen die Gerade t streben.

Die beiden Winkelscharen behandeln wir aber ungleich, um die fŸr den Strahlensatz nštige Asymmetrie zu erreichen. Bei den blauen Winkeln lassen wir die Scheitelpunkte auf t fest. Diese Winkel werden also gedreht. Bei den roten Winkeln lassen wir die Richtungen fest. Diese Winkel werden parallel verschoben.

Da die TeilverhŠltnisse bei den Winkelscheiteln sich nicht verŠndern, bleiben auch die TeilverhŠltnisse auf den Schenkeln invariant.

Die Abbildung 6 illustriert diesen Modifikationsprozess in mehreren Schritten. Im Grenzfall mit F auf t stehen die blauen Schenkel senkrecht auf t, sind also untereinander parallel. Die roten Schenkel verlaufen durch F. Wir haben den gewšhnlichen Strahlensatz.

 

Abb. 6: Modifikation

 

4        Motivation

Auf einem Arbeitsblatt (8. Schuljahr) ist zu lesen:

Eigenschaften der Trapeze

¥         Jedes Trapez hat ein Paar gegenŸberliegender paralleler Seiten.

¥         Beide Mittellinien halbieren sich.

Da wurde moniert, das sei zwar fachlich richtig, aber didaktisch falsch. Die erste Zeile sei definierend fŸr die Trapeze, die zweite Zeile gelte aber fŸr jedes Viereck (Abb. 12a). Vielleicht sollte hier speziell auf die Mittellinien hingewiesen werden, weil eine davon nachher fŸr die FlŠchenformel gebraucht wird.

Dieser didaktische ãFehlerÒ erwies sich als sehr anregend: was ist, wenn Mitte und halbieren durch Drittel und dritteln ersetzt wird?

5        Dritteln

Dritteln sich Drittellinien gegenseitig?

Der Sonderfall des Trapezes erweist sich als einfach, da wir den Strahlensatz anwenden kšnnen (Abb. 7a).

 

Abb. 7: Sonderfall Trapez. Allgemeines Viereck

 

Wir vermuten aufgrund der Zeichnung (Abb. 7b), dass sich auch im allgemeinen Fall die Drittellinien gegenseitig dritteln. Dies kann gemŠ§ einer Mitteilung von H. H., W., wie folgt gezeigt werden (Abb. 8).

 

Abb. 8: Beweisfigur

 

Wir fŸhren gemŠ§ Abbildung 8a eine Diagonale und dazu parallele Strecken ein. Diese haben auf Grund des Strahlensatzes die angegebenen LŠngenverhŠltnisse. Die Abbildung 8b zeigt, dass diese zur Drittelung beim angegebenen Punkt fŸhrt. FŸr die anderen Schnittpunkte im Viereck kann analog Ÿberlegt werden. — Nun ist es allerdings so, dass diese Idee nicht auf Viertelung, FŸnftelung, ... Ÿbertragen werden kann.

6        Beweis fŸr den allgemeinen Fall

Wir teilen zwei gegenŸberliegende Seiten des Vierecks im VerhŠltnis λ, die beiden anderen Seiten im VerhŠltnis μ. Wir verbinden dann die Teilpunkte gegenŸberliegender Seiten. Zu zeigen ist: diese Verbindungslinien teilen sich gegenseitig in den VerhŠltnissen λ und μ. Wir verwenden die Bezeichnungen der Abbildung 9.

 

Abb. 9: Beweisidee

 

FŸr die eingezeichnete blaue Strecke p erhalten wir die Parameterdarstellung:

 

 

FŸr die eingezeichnete rote Strecke q erhalten wir die Parameterdarstellung:

 

 

Der Schnittpunkte ergibt sich offensichtlich fŸr  und . Das war zu zeigen.

Bemerkung 1: Der Vektor  misst die Abweichung des Viereckes vom Parallelogramm. Im Parallelogramm ist die TeilverhŠltniseigenschaft trivial.

Bemerkung 2: Die EinschrŠnkungen  und  beziehen sich auf die eingezeichneten Strecken, sind aber fŸr den Beweisgang unerheblich. Sie werden im Folgenden weggelassen.

7        Viereckraster

FŸr ganze Zahlen λ und μ erhalten wir ein Viereckraster wie folgt. Wir verlŠngern die Viereckseiten und tragen Vielfache der SeitenlŠngen ab (Abb. 10a).

 

Abb. 10: Erster Schritt. ErgŠnzung zum Viereckraster

 

Anschlie§end ergŠnzen wir zum Viereckraster (Abb. 10b). Jede Rasterlinie der einen Schar wird von den Rasterlinien der anderen Schar in gleichmŠ§igen AbstŠnden geschnitten.

Wir sehen, dass sich beim †berschneiden der Linien was Spannendes anbahnt.

8        Parabel

Wenn wir das Viereckraster fortsetzen, Ÿberschneiden sich die Rasterlinien. Als Enveloppe entsteht eine Kurve (Abb. 11). Die Kurve sieht aus wie eine Parabel, es kšnnte aber auch eine Ellipse sein. Was nun?

 

Abb. 11: Parabel

 

9        Sichtumkehr: Beginn mit Parabel

Wir zeichnen zweimal drei Tangenten an eine Parabel und bestimmen exemplarisch die TeilverhŠltnisse zwischen den wechselseitigen Schnittpunkten (Abb. 12).

 

Abb. 12: Tangenten an Parabel

 

Wenn wir dasselbe Spielchen mit einem Kreis machen, erhalten wir keine konstanten TeilverhŠltnisse. Mit einer Ellipse kann es daher auch nicht funktionieren, das sich eine Ellipse mit einer affinen Abbildung unter Erhaltung der TeilverhŠltnisse auf einen Kreis abbilden lŠsst. Auch mit der Hyperbel ist nichts zu wollen.

Die Parabel, der Exot unter den Kegelschnitten, ist also der interessante Fall.

10    Zirkel und Lineal

Die Kegelschnitte kšnnen punktweise mit Zirkel und Lineal konstruiert werden. FŸr die Parabel benštigen wir eine Gerade (Leitlinie) und einen Punkt (Brennpunkt). Die Abbildung 13 illustriert exemplarisch die Konstruktionen von zwei Punkten. Die jeweils gleichfarbigen AbstŠnde sind gleich gro§. Die Tangenten ergeben sich als Mittelsenkrechte.

 

Abb. 13: Tangenten als Mittelsenkrechte

 

In unserem Beispiel aus der Faltgeometrie (Abb. 2) spielen der Punkt die Rolle des Brennpunktes und die untere Papierkante die Rolle der Leitlinie.

Die rechten Winkel in der Abbildung 13 liegen auf der Scheiteltangente der Parabel (Abb. 14). Dabei erkennen wir auch wieder die Winkeleisen der Abbildung 4.

 

Abb. 14: Scheiteltangente und Winkeleisen

 

Damit schlie§t sich der Gedankenkreis.

 

Last modified: 23. August 2015