Hans Walser

 

Puzzle

 

 

SLA-Tagung

15. November 2014, Bern

 

Zusammenfassung

Es kommen verschiedene Aspekte der Zerlegungsgleichheit zur Sprache: Varianten zu Pythagoras, Gegensatz von Methode und KreativitŠt, Fragen der Beweiskraft, Symmetrie, Optimierung, rationale und irrationale Rechtecke, Farben und €sthetik.

   

1        Der Klassiker

Die Abbildung 1 zeigt einen klassischen Zerlegungsbeweis des Satzes von Pythagoras.

 

Abb. 1: Klassischer Zerlegungsbeweis zu Pythagoras

 

2        Aufsetzen von Dreiecken und Vielecken

Nun gilt der Satz von Pythagoras aber auch, wenn wir zum Beispiel regelmŠ§ige Dreiecke an den Seiten des rechtwinkligen Dreiecks ansetzen (Abb. 2).

 

Abb. 2: Zyan = Magenta

 

Die Abbildung 3 zeigt eine passende Zerlegung.

 

Abb. 3: Zerlegung

 

Statt Dreiecke kšnnen wir beliebige regelmŠ§ige Vielecke ansetzen (Abb. 4 bis 8).

 

Abb. 4: FŸnfecke

 

Abb. 5: Sechsecke

 

Abb. 6: Siebenecke

 

Abb. 7: Achtecke

 

Wir erkennen ein einheitliches Muster. NatŸrlich kšnnen wir auch Quadrate nach diesem Muster ansetzen (Abb. 8).

 

Abb. 8: Quadrate

 

Die Figur hat einige Verwandtschaft mit dem Klassiker der Abbildung 1.

3        Pythagoreische Dreiecke

Pythagoreische Dreiecke sind besonders einfach. Wir illustrieren das am Beispiel des so genannten ãLehrerdreiecksÒ mit dem SeitenverhŠltnis 3:4:5.

ZunŠchst kšnnen wir die angesetzten regelmŠ§igen Dreiecke durch kongruente kleine regelmŠ§ige Dreiecke ausschšpfen (Abb. 9). Dabei wird man wohl versuchen, eine kombinatorisch ãschšneÒ FŠrbung zu erreichen.

 

Abb. 9: Das Lehrerdreieck

 

Wir kšnnen die kleinen Dreiecke zu grš§eren Figuren zusammenfassen (Abb. 10).

 

Abb. 10: Grš§ere Puzzle-Teile

 

Wird auf Symmetrie verzichtet, kann die Anzahl der Teile noch mehr eingeschrŠnkt werden (Abb. 11).

 

Abb. 11: Asymmetrische Lšsung

 

4        Quadrat und Dreieck

Ein Quadrat und ein flŠchengleiches Dreieck sind zerlegungsgleich. Die Abbildung 12 zeigt eine klassische Zerlegung (Dudeney, 1903).

 

Abb. 12: Quadrat und Dreieck

 

Das Beispiel lŠsst sich als Gelenkmodell darstellen (Abb. 13).

 

Abb. 13: Gelenkmodell

 

Die Abbildung 14 zeigt eine weniger elegante Lšsung, dafŸr ist die Basislinie des Dreieckes parallel zu der des Quadrates.

 

Abb.14: Quadrat und Dreieck

 

Die Teile in der hšhenmŠ§ig oberen HŠlfte des Dreieckes mŸssen beim Einpassen in das Quadrat um 180¡ gedreht werden (Punktspiegelung). Die Ÿbrigen Teile kšnnen parallel verschoben werden.

Im Beispiel der Abbildung 15 muss nur das rote Dreieck auf die Spitze gestellt werden.

 

Abb. 15: Das rote Teil muss umgedreht werden

 

Im Beispiel der Abbildung 16 mŸssen die Teile in der rechten HŠlfte des Dreieckes vor dem Einpassen ins Quadrat umgewendet werden.

 

Abb. 16: Umwenden erforderlich

 

5        Zerlegungsgleichheit und FlŠchengleichheit

Zerlegungsgleiche Figuren sind trivialerweise flŠchengleich. Man kann umgekehrt zeigen, dass flŠchengleiche Polygone auch zerlegungsgleich sind (Satz von W. Wallace - F. W. Bolyai (1832) – P. Gerwien (1833)). Insbesondere sind ein Quadrat und ein flŠchengleiches gleichseitiges Dreieck zerlegungsgleich (Abb. 12 bis 16).

Eine analoge Aussage gilt im Raum nicht. Zwar sind zerlegungsgleiche Polyeder natŸrlich volumengleich, aber umgekehrt sind volumengleiche Polyeder nicht immer zerlegungsgleich. Insbesondere sind ein WŸrfel und ein volumengleiches regelmŠ§iges Tetraeder (Abb. 17) nicht zerlegungsgleich.

 

Abb. 17: WŸrfel und Tetraeder

 

Die Frage der Zerlegungsgleichheit von Tetraedern wurde von Hilbert als drittes Problem gestellt und von M. W. Dehn (1902) beantwortet. B. F. Kagan (1903) vereinfachte den Beweis. H. Hadwiger (1954) gab eine Verallgemeinerung auf hšhere Dimensionen.

 

Abb. 18: Hugo Hadwiger (1908-1981)

 

Weitere Bearbeitungen gehen auf D. Benko (2007) und W. Ch. Wittmann (2012) zurŸck.

6        Zerlegungsgleiche Dreiecke und Polygone

Das Grundverfahren bei FlŠchenumformungen besteht darin, Dreiecke mit gleicher Hšhe und gleicher Grundlinie zu bearbeiten. Die Abbildung 19 zeigt, wie das mit Zerlegungen bewerkstelligt werden kann.

 

Abb. 19: Zerlegungsgleiche Dreiecke

 

Sind mehrere Schritte dieser Art erforderlich, ist die bisherige Unterteilung jeweils weiter zu unterteilen. Dies fŸhrt bald einmal zu einer gro§en Anzahl von Puzzle-Teilen. Die Abbildung 20 zeigt eine Illustration des Kathetensatzes. Dabei wurde darauf geachtet, dass die beiden Kathetenquadrate wie auch die beiden Hypotenusenrechtecke jeweils punktsymmetrisch zerschnitten werden.

 

Abb. 20: Kathetensatz

 

Es ist mir nicht gelungen, bei der FŠrbung mich auf vier Farben zu beschrŠnken. Die Schwierigkeit besteht darin, dass jedes Puzzleteil an zwei Orten vorkommt. Man muss also sozusagen auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.

7        Anzahl Farben

Die Abbildung 21 gibt ein einfaches Beispiel, bei welchem zwingend fŸnf Farben benštigt werden.

 

Abb. 21: FŸnf Farben

 

FŸr die Figur links wŸrden gemŠ§ dem Vierfarbensatz vier Farben reichen, man kšnnte das hellblaue Rechteck ebenfalls gelb fŠrben. Das ist aber nicht kompatibel mit der Figur rechts, weil wir dann zwei gelbe Teile mit gemeinsamer Kante hŠtten. Umgekehrt kšnnt man in der Figur rechts das grŸne (oder das rote) Rechteck gelb fŠrben, was aber mit der Figur links nicht kompatibel ist.

8        Technisches

FŸr das Zeichnen habe ich gute Erfahrungen gemacht mit einer Grafiksoftware, welche Ÿber einen Vertex-snapper verfŸgt. Das hei§t, man kann Puzzleteile verschieben, bis ein Eckpunkt an einem Eckpunkt eines anderen Puzzleteils einrastet.

9        Optimierung

Zu flŠchengleichen Polygonen gibt es verschiedene gemeinsame Zerlegungen. Das folgende Beispiel soll Vor- und Nachteile verschiedener gemeinsamer Zerlegungen illustrieren.

Wir bearbeiten ein regelmŠ§iges Dreieck und ein dazu flŠchengleiches regelmŠ§iges Sechseck.

Diese Figuren kšnnen zunŠchst wie folgt gefunden werden. Wir gehen von einer regelmŠ§igen Kreisteilung in zwšlf Teile aus und ergŠnzen zu Dreieck und Sechseck gemŠ§ Abbildung 22.

 

Abb. 22: Dreieck und Sechseck

 

Wenn wir vom Einheitskreis ausgehen, hat das Dreieck einen Inkreisradius  (Abb. 23) und damit eine SeitenlŠnge . FŸr den FlŠcheninhalt ergibt sich .

 

Abb. 23: FlŠchenberechnung

 

Das Sechseck hat den Umkreisradius 1 und damit ebenfalls den FlŠcheninhalt .

Die Abbildung 24 zeigt nun eine gemeinsame Zerlegung.

 

Abb. 24: Gemeinsame Zerlegung

 

Unter der Website Zerlegungsgleichheit finden wir eine andere Zerlegung (Abb. 25). Dies ist die beste bis anhin bekannte Zerlegung.

 

Abb. 25: Zweite Zerlegung

 

Nachfolgend eine GegenŸberstellung der beiden Zerlegungen.

 

Zerlegung

Abbildung 24

Abbildung 25

Anzahl Teile total

9

5

Anzahl Formen

2 bzw. 3 je nachdem, ob spiegelbildliche Formen separat gezŠhlt werden

5

Anzahl Farben

3

3

Symmetrie

Zyklische Symmetrie

Keine Symmetrie

 

Die Zerlegung der Abbildung 24 benštigt insgesamt mehr Puzzleteile, kommt aber mit weniger Puzzleformen aus. Zudem haben die Zerlegungen sowohl des Dreieckes wie des Sechseckes eine zyklische Symmetrie.

10    ZuverlŠssigkeit von Zerlegungsbeweisen

Die vier in einem Quadratraster gegebenen Puzzleteile der Abbildung 26 kšnnen wir scheinbar sowohl zu einem Quadrat wie auch zu einem Rechteck zusammensetzen (Abb. 27).

 

Abb. 26: Puzzleteile

 

Abb. 27: Quadrat und Rechteck

 

Nun hat aber das Quadrat die SeitenlŠnge 8, also den FlŠcheninhalt 46, das Rechteck die LŠnge 13 und die Hšhe 5 und damit den FlŠcheninhalt 65. TatsŠchlich sehen wir, dass beim Rechteck die Sache nicht ganz aufgeht. Wir haben lŠngs einer Diagonalen einen feinen Zwischenraum. Dies ist ein Parallelogramm mit dem FlŠcheninhalt 1.

Die SeitenlŠngen 8 beziehungsweise 13 und 5 sind drei aufeinanderfolgende Fibonacci-Zahlen. Die Abbildung 28 zeigt ein analoges Beispiel mit den drei Fibonacci-Zahlen 13, 21 und 8.

 

Abb. 28: Quadrat und Rechteck

 

In diesem Beispiel hat das Quadrat den FlŠcheninhalt 132 = 169, das Rechteck den FlŠcheninhalt 21«8 = 168. Im Rechteck haben wir lŠngs der Diagonalen eine †berlappung welche aber von Auge nicht mehr wahrgenommen werden kann.

Allgemein gilt bei drei aufeinander folgenden Fibonacci-Zahlen die schon Kepler bekannte Relation:

 

 

Wir dividieren durch den Term links und erhalten:

 

 

 

Beim GrenzŸbergang n ¨ ´ verschwindet der Fehlerterm und wir erhalten:

 

 

Dabei ist  der Goldene Schnitt (Walser 2013).

Geometrisch haben wir die Situation der Abbildung 29. Diese Figur findet sich im Prinzip bereits bei Euklid Elemente, zweites Buch, ¤11. Es wird dort auch eine Konstruktion des Goldenen Schnittes angegeben. Der Goldene Schnitt (bei Euklid Stetige Teilung genannt) folgt aber explizit erst im sechsten Buch.

 

Abb. 29: Quadrat und Rechteck

 

Die Figur findet sich auch in einem Bild von Jo Niemeyer (Abb. 30).

 

Abb. 30:  Jo Niemeyer. 531 ohne Titel. Acryl auf Leinwand auf Holz. 2014

 

FŸr die Ausma§e im Goldenen Schnitt gibt es nun eine saubere gemeinsame Zerlegung (Abb. 31).

 

Abb. 31: Zerlegungsgleichheit

 

Die beteiligen Dreiecke mŸssen bei dieser Zerlegung um 90¡ gedreht werden.

11    Rational und irrational

Wir versuchen nun, in der Situation der Abbildung 29 eine Zerlegung mit grš§tmšglichen Rechtecken zu finden.

ZunŠchst kšnnen wir je ein so genanntes Goldenes Rechteck entfernen (Abb. 32).

 

Abb. 32: Gemeinsames Goldenes Rechteck

 

Die grauen Restfiguren sind interessant: Wir haben nun rechts oben ein Restquadrat und links unten ein Restrechteck, das zum ursprŸnglichen Rechteck rechts oben Šhnlich ist.

Nach dem nŠchsten Schritt (Abb. 33) wiederholt sich in den Restfiguren sogar positionsmŠ§ig die ursprŸngliche Situation.

 

Abb. 33: Rest entspricht der ursprŸnglichen Situation

 

Das hei§t aber, dass wir unendlich viele Schritte fŸr unsere gemeinsame Zerlegung benštigen. Dies ist letztlich eine Folge der IrrationalitŠt des Goldenen Schnittes. DemgegenŸber zeigt die Abbildung 34 ein Beispiel mit einem rationalen SeitenverhŠltnis.

 

Abb. 34: Rationale SeitenverhŠltnisse

 

Schon nach dem ersten Schritt des Abtrennens des grš§tmšglichen gemeinsamen Rechteckes wiederholt sich die Situation nicht mehr (Abb. 35).

 

Abb. 35: Erster Abbauschritt

 

TatsŠchlich kommen wir in endlich vielen Schritten zu einer gemeinsamen Rechteckzerlegung (Abb. 36).

 

Abb. 36: Zerlegung in Rechtecke

 

12    Auf der schiefen Bahn

Es gibt eine weitere Art, in der Situation der Abbildung 29 eine gemeinsame Zerlegung zu finden. Als Vorbereitung benštigen wir die parallelen schrŠgen Linien der Abbildung 37. Die ParallelitŠt lŠsst sich mit StrahlensŠtzen nachweisen.

 

Abb. 37: Die schiefe Bahn

 

Die Abbildung 38 zeigt nun die ersten Schritte der gemeinsamen Zerlegung. Die blauen Dreiecke sind je die HŠlften des misslungenen Versuches der Abbildung 32.

 

Abb. 38: Erste Schritte

 

Mit einer geeigneten waagerechten oder senkrechten Halbierung der Restparallelogramme finden wir nun die gemeinsame Zerlegung (Abb. 39).

 

Abb. 39: Gemeinsame Zerlegung

 

Dieses Verfahren lŠsst sich auf flŠchengleiche Parallelogramme mit gleichen Winkeln verallgemeinern (Abb. 40).

 

Abb. 40: Verallgemeinerung

 

13    Farben und €sthetik

In den Beispielen wurden meistens ãreineÒ RGB-Farben verwendet. Dadurch werden die Abbildungen etwas gar bunt.

Im Titelbild, das geometrisch der Abbildung 39 entspricht, wurden die Farben etwas ãentschŠrftÒ.

Dank

Ich danke Jo Niemeyer, Funchal/Portugal, fŸr die Foto der Abbildung 30 sowie weitere RatschlŠge in der Farbgebung.

 

Literatur

Aigner, M., Ziegler, G. (2009): Das Buch der Beweise. Springer, Berlin.

Benko, D. (2007): A New Approach to HilbertÕs Third Problem. Amer. Math. Monthly 114 (2007), 665-676.

Boltianskii, V. G. (1978): HilbertÕs Third Problem. V. H. Winston & Sons, Washington D.C.

Dehn, M. (1900): †ber raumgleiche Polyeder. Nachr. Akad. Wiss. Gšttingen Math.-Phys. Kl. II, 345-354.

Dehn, M. (1902): †ber den Rauminhalt. Math. Annalen 55, 465-478.

Frederickson, Greg N. (1997): Dissections: plane & fancy. Cambridge University Press.

Frederickson, Greg N. (2002): Hinged Dissections. Swinging & Twisting. Cambridge University Press. ISBN 0-521-81192-9. http://www.cs.purdue.edu/homes/gnf/book2.html

Hadwiger, Hugo (1949/50): Zum Problem der Zerlegungsgleichheit der Polyeder. Archiv der Math. 2, 441-444.

Hadwiger, Hugo (1954): Zum Problem der Zerlegungsgleichheit k-dimensionaler Polyeder. Math. Annalen, Bd. 127, 170-174.

Kagan, B. (1903): †ber die Transformation der Polyeder. Math. Annalen 57, 421-424.

Lindgren, Harry (1972): Geometric Dissections. Revised and enlarged by Greg Frederickson. New York: Dover.

Walser, Hans (6. Auflage) (2013). Der Goldene Schnitt. Leipzig: Edition am Gutenbergplatz. ISBN 978-3-937219-85-1.

Wittmann, Erich CH. (2012): Elementarisierung von Benkos Lšsung des 3. Hilbertschen Problems. Elem. Math. 67, 45-50.

 

Websites

Hinged Dissections (Abgerufen 17. 8. 2014)
http://www.cs.purdue.edu/homes/gnf/book2.html

Puzzles (Abgerufen 17. 8. 2014)
http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen_Uebersicht/Puzzles/index.html

Zerlegungsgleichheit (Abgerufen 17. 8. 2014)
http://mathworld.wolfram.com/Dissection.html

 

 

 

Version 16. Oktober 2014, 07:27 Uhr