Hans Walser
DIN-Format und Raum
Herbsttagung des Arbeitskreises Geometrie der GDM
12. – 14. September 2014
SaarbrŸcken
Tagungsthema: Raumgeometrie
Unterthemen:
á Grundvorstellungen von Kšrpern,
á Raumvorstellung,
á Einfluss von Werkzeugen und Medien (klassische wie digitale) zur Erzeugung und Manipulation geometrischer Objekte auf die Entwicklung von Begriffsbildern.
Zusammenfassung
á Didaktische Schwierigkeiten in der Raumgeometrie
á Das DIN-Format als Hilfsmittel in der dreidimensionalen Geometrie.
á Verallgemeinerung der Idee des DIN-Formates in den Raum.
Zum VerstŠndnis der didaktischen Schwierigkeiten in der Raumgeometrie ist es naheliegend sich zunŠchst das zweidimensionale Analogon vor Augen zu halten.
Was wir im Schulunterricht als ebene Geometrie bezeichnen ist zwar zweidimensional aber die SchŸlerinnen und SchŸler sitzen im Schulzimmer und dieses ist dreidimensional. Die ebene Geometrie wird sozusagen aus der Feldherrenperspektive prŠsentiert. Man nennt das Bildung. Ganz anders sah es der Landsknecht im Dreck oder der Fahrer eines Jagdpanzers durch seinen Sehschlitz.
Ein Beobachter direkt in der Bildebene (Bildschirmbewohner, Einwohner von Flatland, vgl. (Abbott, 1884) und (Burger, 1978)) sieht zum Beispiel lediglich das folgende eindimensionale Bild.
Was ist denn das?
Dabei handelt es sich um eine sehr bekannte ebene Figur, wie die Sicht eines Beobachters zeigt, der vor dem Bildschirm sitzt. Er sieht im Bildschirm das Auge des Bildschirmbewohners und die Zentralprojektion der zweidimensionalen Figur.
Pythagoras
Ein Bildschirmbewohner kann das Puzzle nicht vollenden. Um das fehlende EckstŸck einzufŸgen, mŸsste er es in die dritte Dimension anheben.
Puzzle
FŸr die Raumgeometrie sind wir nun in der Situation der Bildschirmbewohner. Da wir keine 4d-Hypermenschen sind, fehlt uns die Sicht von au§en auf die dreidimensionale Geometrie.
Vielleicht gibt es schšne Eigenschaften der Raumgeometrie welche unsichtbar und daher unbekannt sind. Das ist aber reine Spekulation und Šhnlich irrelevant wie die Frage ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder ob das Licht im KŸhlschrank wirklich ausgeht wenn wir die TŸr schlie§en.
Wenn wir ein DIN A4 Papier lŠngs der kurzen Mittellinie falten, ergibt sich ein doppellagiges DIN A5 Papier. Dieses hat nun dieselbe Form (€hnlichkeit), also dieselben SeitenverhŠltnisse wie das DIN A4 Papier, wie durch Anlegen an eine gemeinsame Diagonale nachgeprŸft werden kann.
DIN A4 und DIN A5
Mit der Schmalseite 1 und der Langseite x fŸr das DIN A4 Rechteck erhalten wir aus der €hnlichkeit:
Dieses SeitenverhŠltnis kann durch Falten nachgeprŸft werden. Dabei benŸtzen wir den Sachverhalt, dass im Quadrat die Diagonalen-LŠnge das der SeitenlŠnge ist.
Kontrolle durch Falten
Das Falten setzt einen dreidimensionalen Raum voraus. In einem zweidimensionalen Raum sind Kulturtechniken wir Falten oder Weben nicht mšglich.
Zwei diametrale WŸrfelkanten spannen ein Rechteck im DIN-Format auf. Daher kšnnen mit Papieren oder Karten im DIN-Format WŸrfelmodelle gebaut werden.
Die Abbildung zeigt ein Modell aus sechs A6-Karten. Schnittmuster und Bauanleitung siehe (Walser, 2009).
WŸrfelmodell aus sechs A6 Karten
Als Baumaterial dient Papier im DIN A6-Format. Geeignet ist Papier der StŠrke 80 g/m2, das vom Format A4 auf A6 zugeschnitten wird.
FŸr jede Kante braucht es ein Papier.
FŸr den Faltprozess verwenden wir eine etwas festere A6-Karte als Faltlehre. Wir legen diese Faltlehre diagonal auf ein A6-Papier und falten die vorstehenden Ecken des darunterliegenden Papiers nach vorne Ÿber die Faltlehre. Dann entfernen wir die Faltlehre. Der Umriss des Papiers ist nun ein Rhombus mit dem spitzen Winkel .
Faltvorgang
Nun falten wir die untere Spitze des Rhombus nach hinten unter die obere Spitze. Diese letzte Faltlinie wird zu einer Kante des WŸrfels. Was an dieser Kante noch vorsteht, kann zurŸckgebogen oder abgeschnitten werden. Damit haben wir unser Bauteil. Es hat die Form eines doppellagigen gleichschenkligen Dreiecks mit zwei Verbindungslaschen zum Einschieben in die Nachbarteile.
Die folgende Abbildung zeigt ein gešffnetes Bauteil von innen. Die Spitzen der beiden Rhomben-HŠlften mŸssen vor dem Zusammenbau des Modells noch aufeinander gelegt werden. Diese Spitzen kommen alle in den Mittelpunkt des WŸrfels zu liegen. Die Seiten der Rhomben werden zu halben Raumdiagonalen des WŸrfels.
Wir benštigen 12 Bauteile. Beginnend mit drei verschieden farbigen A4-Papieren, die wir zu A6-Papieren vierteln, erhalten wir drei SŠtze von je vier gleichfarbigen Bauteilen. Damit kšnnen wir den jeweils vier parallelen WŸrfelkanten dieselbe Farbe zuordnen.
Bauteil
Und nun kommt das Interessante, der Zusammenbau. Wir schieben jeweils eine Verbindungslasche zwischen die beiden gleichschenkligen Dreiecke des Nachbarbauteils. Dabei achten wir darauf, dass an jeder halben Raumdiagonale des WŸrfels drei Bauteile in den drei verschiedenen Farben zusammen kommen. Parallele WŸrfelkanten haben dieselbe Farbe.
Kantenmodell des WŸrfels
Es empfiehlt sich, den Zusammenbau schrittweise mit BŸroklammern zu fixieren. An jeder Ecke des WŸrfels ergeben sich schlie§lich drei BŸroklammern.
Wenn alles sitzt, kšnnen die BŸroklammern schrittweise entfernt und durch eine Heftklammer mit dem Tacker ersetzt werden. Dabei hat man den Ehrgeiz, dass die Klammern symmetrisch eingebracht werden.
Beim regelmŠ§igen Tetraeder haben wir den ErgŠnzungswinkel von auf 180¡, also 109.4712¡, als Winkel zwischen den vom Zentrum aus zu den Ecken verlaufenden Strecken. Daher kann analog zum Kantenmodell des WŸrfels ein Kantenmodell des Tetraeders gebaut werden. Der Rhombus muss lŠngs der langen Diagonalen gefaltet werden.
Kantenmodell des Tetraeders
Wir kšnnen mit einem Set von DIN-Rechtecken A1, A2, A3, ... ein A0-Rechteck ausschšpfen. Die Rechtecke sind im Wechsel im Quer- und Hochformat.
Ausschšpfung des A0-Rechteckes
Wenn wir die Mitten aufeinanderfolgender Rechtecke verbinden, ergibt sich eine Zickzack-Linie, welche in den Grenzpunkt rechts oben mŸndet.
Wir kšnnen das Set von Rechtecken A1, A2, A3, ... aber auch spiralfšrmig anordnen.
Spiralfšrmige Anordnung
Der Grenzpunkt ergibt sich durch Einzeichnen geeigneter Halbdiagonalen.
Der Grenzpunkt hat ãDrittelkoordinatenÒ.
Drittel bei den Koordinaten
Das kann wie folgt eingesehen werden: Wenn auf der Hšhe des Grenzpunktes von links her einfahren, treffen wir nur Hochformat-Rechtecke, und zwar der Reihe nach A4, A8, A12, A16, ... . Diese haben im angegebenen Koordinatensystem die Breiten , , , , ... . FŸr die x-Koordinate des Grenzpunktes ergibt sich daher die geometrische Reihe:
Gibt es andere Figuren, die in zwei kongruente, zur Ausgangsfigur Šhnliche Teilfiguren zerlegbar sind?
Die Frage ist allgemein gehalten, es ist nicht von Halbieren die Rede, sondern nur von Zerlegen.
Wir kšnnen die DIN-Rechtecke zu Parallelogrammen verscheren.
Parallelogramme
Die Teilparallelogramme sind ungleichsinnig Šhnlich zum Startparallelogramm.
Das naheliegende Beispiel ist das rechtwinklig-gleichschenklige Dreieck. Bei der einfachsten Zerlegung gibt es einen Grenzpunkt unten rechts.
Das rechtwinklig-gleichschenklige Dreieck
Es gibt im rechtwinklig-gleichschenkligen Dreieck ebenfalls eine spiralfšrmige Anordnung. Der Grenzpunkt fŸhrt zu FŸnfteln.
Spiralfšrmige Anordnung
Die Figur kann auch aus einem halben Origami Papier durch fortlaufendes Falten erreicht werden. FŸr das Falten benštigen wir den Raum.
Faltprozess
Faltmodell
Die Thaleskreise der Teildreiecke verlaufen durch den Grenzpunkt, ebenso eine Art ãHalbdiagonalenÒ.
Thaleskreise. Halbdiagonalen
Wird ein Quader mit dem KantenverhŠltnis halbiert, ergeben sich zwei Quader mit dem KantenverhŠltnis . Diese sind Šhnlich zum ursprŸnglichen Quader.
Die folgende Abbildung zeigt eine Anordnung eines DIN-Quader-Sets analog zur klassischen Anordnung eines Sets von DIN-Rechtecken.
Anordnung
WŠhrend bei Rechtecken nur zwischen Querformat und Hochformat unterschieden werden kann, brauchen wir hier drei Anaordnungsformate. Dazu dient das beigefŸgte Koordinatensystem. Der erste Quader hat seine lŠngsten Kanten in der x-Richtung, der zweite Quader hat seine lŠngsten Kante in der y-Richtung und der dritte Quader in der z-Richtung. Der vierte Quader hat seine lŠngsten Kanten wiederum in der x-Richtung.
Die Quader sind in einer Art rŠumlicher Spirale wie bei einer Schnecke angeordnet.
Schnecke
Schnecke
Als Stimmungsbild reale DIN-Quader.
DIN-Kisten
Im vierdimensionalen Raum ergeben sich durch
oder in anderer Schreibweise
die Kanten zweier aufeinanderfolgender 4d-DIN-Hyperquader. George P—lya (1887-1985) hŠtte in dieser Situation allerdings von einer Verallgemeinerung durch VerwŠsserung gesprochen.
George P—lya
Wir verwŠssern weiter zum 12d-DIN-Hyperquader.
Das haben wir zwar noch nie gesehen, aber schon gehšrt. Es sind die FrequenzverhŠltnisse der gleichtemperierten 12-Ton-Stimmung.
Und ihm trŠumte; und siehe, eine Leiter stand auf der Erde,
die rŸhrte mit der Spitze an den Himmel, und siehe,
die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.
Gen 28, 11
Die Abbildung a) zeigt die ersten Sprossen der Jakobsleiter.
Jakobsleiter
Auf der einen Seite der Leiter steigen die Engel hinauf, auf der anderen Seite hinunter. Damit sie sich nicht gegenseitig auf den FŸ§en herumtreten, haben sie festgelegt, dass die aufsteigenden Engel nur die Sprossen mit ungeraden Nummern verwenden, die absteigenden nur die Sprossen mit geraden Nummern (Abb. b). Damit zerfŠllt die Jakobsleiter in zwei Teil-Jakobsleitern, die zur ursprŸnglichen Jakobsleiter Šhnlich sind (Abb. c) und d). Wir haben also das Prinzip des DIN-Formates.
Der Reduktionsfaktor ist 2. Das Wort Reduktionsfaktor ist syntaktisch richtig, semantisch falsch, da Sprossenhšhne nicht reduziert, sondern verdoppelt wird. Unter dem Aspekt eines Fraktals ergibt sich die Mandelbrot-Dimension D (fraktale Dimension):
Literatur
Abbott, Edwin A. (1884): Flatland. A Romance of Many Dimensions. London: Seeley.
Burger, Dyonis (1978): SilvestergesprŠche eines Sechsecks. Kšln: Aulis. ISBN 3-7614-0085-3.
Walser, Hans (2009): Steckmodelle. MU Der Mathematikunterricht. Polyeder im Mathematikunterricht. Jahrgang 55. Heft 1. Februar 2009. Friedrich Verlag, Seelze. S. 38-47.
Walser, Hans (2013): DIN A4 in Raum und Zeit. Silbernes Rechteck – Goldenes Trapez – DIN-Quader. Edition am Gutenbergplatz, Leipzig 2013. ISBN 978-3-937219-69-1.