Hans Walser
UniversitŠt Basel
Gleichgewicht
Thales, Pythagoras und Archimedes
SLA-Tagung, St. Gallen
Samstag, 17. November 2012
Zusammenfassung
Der Kreis des Thales
und Satz des Pythagoras lassen sich auf nahe liegende Weise verallgemeinern.
Die zugehšrigen Figuren haben eine Gleichgewichtseigenschaft, sie sind in sich
ruhend. Damit kommen als Querbezug zur Physik die Hebelgesetze des Archimedes
ins Spiel. Eine zentrale Rolle spielt die Summe von Quadraten von AbstŠnden,
die wir auch in der Stochastik (Durchschnitt, Varianz) antreffen. Bei der
Organisation der Hebelmechanismen treten Fragen der Topologie und der
Kombinatorik auf.
Auf der Kreislinie sind
fŸnf gleiche Punktmassen in unregelmŠ§igen AbstŠnden verteilt (Abb. 1). Rollt
der Kreis ab?
Abb. 1: Rollt der Kreis
ab?
Die Frage ist, ob der
Schwerpunkt der fŸnf Massen mit dem Kreismittelpunkt zusammenfŠllt. Wir kšnnen
diesen Schwerpunkt mit den Hebelgesetzen von Archimedes
bestimmen. ZunŠchst fassen wir je zwei und zwei Punkte mit einer Sehne zusammen
(Abb. 2). Deren Mittelpunkt ist der lokale Schwerpunkt des jeweiligen
Punktepaares. Nun schlie§en wir den fŸnften Punkt zu einer Sehne an. Dazu
verbinden wir diesen Punkt mit dem Mittelpunkt der Sehne und dritteln. Der
Drittelpunkt nŠher beim Mittelpunkt der Sehne ist nun lokaler Schwerpunkt der
beteiligten drei Punkte. Das ist natŸrlich nichts anderes als die
Schwerpunktskonstruktion im Dreieck. Schlie§lich verbinden wir diesen Dreiecksschwerpunkt
(an welchem drei Punktmassen angreifen) mit dem Mittelpunkt der anderen Sehne
(an dem zwei Punktmassen angreifen). Diese Strecke teilen wir im VerhŠltnis , wobei der Teilpunkt nŠher beim drei-Massen-Schwerpunkt zu
wŠhlen ist. So erhalten wir den Schwerpunkt aller fŸnf Massen. In unserem
Beispiel fŠllt dieser Schwerpunkt mit dem Kreismittelpunkt zusammen. Die Figur
ist also in sich ruhend.
Eine solche Figur
nennen wir eine Gleichgewichtsfigur. Sie
besteht aus n Punktmassen auf
einem Kreis so, dass deren Schwerpunkt mit dem Kreismittelpunkt zusammen fŠllt.
Abb. 2: Schwerpunkt im
Mittelpunkt.
Im folgenden arbeiten
wir mit dem Einheitskreis und spŠter mit der Einheitskugel.
Das einfachste Beispiel
einer Gleichgewichtsfigur besteht aus zwei diametralen Punkten und . Wir haben also einen Thaleskreis.
Nun wŠhlen wir
zusŠtzlich einen beliebigen Punkt C auf
dem Kreis (Abb. 3).
Abb. 3: Kreis des Thales
Das Dreieck ist rechtwinklig
mit dem rechten Winkel in C, und nach
dem Satz des Pythagoras ist die
Summe der Quadrate der AbstŠnde von C zu den Punkten und konstant,
nŠmlich 4.
Bei zwei Paaren
diametraler Punkte , beziehungsweise , erhalten wir ein
Rechteck (Abb. 4) und durch zweimalige Anwendung des Satzes von Pythagoras die Summe der Quadrate der
AbstŠnde von einem beliebigen Punkt C
auf dem Umkreis den Wert 8.
Abb. 4: Rechteck
Entsprechend ergibt sich fŸr ein beliebiges punktsymmetrisches Sehnen-2n-Eck bei n-facher Anwendung des Satzes von Pythagoras die invariante Summe . Das ist eine Verallgemeinerung des in [Stoeter / Wohlrabe 2011] vorgestellten Sachverhaltes.
Was erhalten wir nun fŸr einen Punkt C auf dem Umkreis
eines gleichseitigen Dreieckes (Abb. 5)? Wir
haben jetzt sozusagen ein gleichseitiges Dreieck als ãHypotenuseÒ und drei von C aus laufende ãKathetenÒ. Dabei stehen zwei Fragen im
Raum: Ist die Summe der Quadrate der AbstŠnde von C eine Invariante, und wenn ja, wie gro§ ist diese.
Abb. 5: Gleichseitiges
Dreieck
Die zweite Frage kšnnen
wir anhand von symmetrischen SonderfŠllen angehen.
Im Sonderfall der
Abbildung 6 ist und , also .
Abb. 6: Symmetrischer
Sonderfall
Wenn wir den Punkt C in die Ecke legen (Abb. 7),
erhalten wir und , also wiederum .
Abb. 7: Sonderfall
Bei einem regelmŠ§igen n-Eck ergibt sich entsprechend die Summe . Dies ist eine Verallgemeinerung des Ergebnisses von [Stoeter / Wohlrabe 2009].
Wir kšnnen sogar in den
Raum gehen. Wir legen das gleichseitige Dreieck in die €quatorebene der
Einheitskugel und den Punkt C in den
Nordpol. Dann ist und wiederum .
Abb. 8: In der
Einheitskugel
Wenn wir allerdings den
Punkt C in allgemeiner Lage auf der
Kugel wŠhlen, gibt es keinen trivialen Zugang zur Summe der Quadrate der
AbstŠnde (Abb. 9).
Abb. 9: Und?
Wir gehen aus von einer
Gleichgewichtsfigur mit n Punkten. Wir
haben also n gleiche Massenpunkte
auf dem
Einheitskreis oder der EinheitssphŠre, so dass deren Schwerpunkt der Kreis-
bzw. Kugelmittelpunkt M ist.
Wir fŸhren eine
Koordinatensystem mit dem Ursprung in M
ein. Es sei:
Da der Kreis- bzw.
Kugelradius 1 ist, haben wir , und wegen der Gleichgewichtseigenschaft ist der Ursprung
der Schwerpunkt, also .
Nun sei C mit dem Ortsvektor ein beliebiger
Punkt. Damit ist und:
Wegen und folgt:
Damit ist:
Die Summe der Quadrate
der AbstŠnde ist also genau dann , wenn sich der Punkt C
auf dem Einheitskreis oder der EinheitssphŠre befindet.
Wir ersetzen die
AbstŠnde durch Kreisbšgen auf dem Einheitskreis oder der Einheitskugel.
Abb. 10: Kreisbšgen
Im einfachsten Fall der
Abbildung 10 ist und damit:
Wir werden sehen, dass
die Summe der Kosinuswerte der Bšgen allgemeine Null ist.
ZunŠchst einige
Beispiele:
Wir legen ein
regelmŠ§iges Sechseck in die €quatorebene und wŠhlen den Punkt C beliebig auf der nšrdlichen HemisphŠre (Abb. 11).
Wir erhalten sechs Kreisbšgen. Da sich je zwei Kreisbšgen zu einem Halbkreis
ergŠnzen, haben wir drei mal die Situation der Abbildung 10. Damit ist .
Abb. 11: Die rote Spinne
Wenn wir allerdings mit
einem regelmŠ§igen FŸnfeck beginnen (Abb. 12), haben wir keinen trivialen
Zugang zu den Kosinuswerten der fŸnf Kreisbšgen.
Abb. 12: Summe der
Kosinuswerte?
Die Gleichgewichtsfigur
selber kann auch rŠumlich sein, zum Beispiel ein regulŠres Tetraeder (Abb. 13).
Auch hier ist die Summe der Kosinuswerte der vier Bšgen nicht direkt ablesbar.
Abb. 13: RŠumliche
Gleichgewichtsfigur
Wir kšnnen aber leicht
beweisen, dass allgemein gilt:
ZunŠchst ist . Daraus ergibt sich:
In der Ebene sind alle
regelmŠ§igen Vielecke, das Zweieck eingeschlossen, Beispiele von
Gleichgewichtsfiguren. Wir kšnnen aber auch zwei verschiedene Gleichgewichtsfiguren
mit demselben Umkreisradius Ÿberlagern und erhalten so eine neue, nicht mehr
regelmŠ§ige Gleichgewichtsfigur. Die Abbildung 14 zeigt zwei verschiedene Gleichgewichtsfiguren
mit je 5 Punkten, das regelmŠ§ige FŸnfeck (Abb. 14a) und eine †berlagerung
eines gleichseitigen Dreieckes mit einem Zweieck (Abb. 14b).
Abb. 14:
Gleichgewichtsfiguren
Gleichgewichtsfiguren
im Raum sind etwa die platonischen Kšrper, die archimedischen Kšrper sowie
Doppelpyramiden mit einem regelmŠ§igen Vieleck in der €quatorebene als Basis
und je einer Spitze in den Polen. Wie in der Ebene kšnnen wir zwei Gleichgewichtsfiguren
Ÿberlagern oder einen Konstruktionsalgorithmus anwenden.
Die Abbildung 15 zeigt
eine recht unregelmŠ§ige Gleichgewichtsfigur mit fŸnf Punkten.
Abb. 15:
Hebelmechanismen
Die Figur der Abbildung 15a wird wie folgt konstruiert: Wir beginnen mit einem beliebigen Punkt auf dem Kreis und zeichnen dann den Punkt so, dass der Kreismittelpunkt M die Strecke im VerhŠltnis 4:1 teilt. Das TeilverhŠltnis ist durch die gelben Hilfspunkte angedeutet. Hier kommen die Hebelgesetze ins Spiel, denn an wird die Gesamtmasse der vier restlichen Punkte angreifen. Nun wŠhlen wir auf dem Kreis und konstruieren derart, dass der Punkt die Strecke im VerhŠltnis 3:1 teilt. Dann wŠhlen wir auf dem Kreis und bestimmen so, dass die Strecke im VerhŠltnis 2:1 teilt.
Schlie§lich zeichnen wir und so, dass Mittelpunkt der Strecke wird. Dies geschieht zum Beispiel mit einer Spiegelung des Kreises an .
Dieser allgemeine Konstruktionsalgorithmus lŠsst sich entsprechend der Eckenzahl n verallgemeinern und auch auf den Raum Ÿbertragen.
Die Abbildung 15b (entspricht der Abbildung 2) zeigt dieselben fŸnf Punkte mit einer anderen Hebeltopologie. Wie viele Hebeltopologien gibt es zu einer Gleichgewichtsfigur mit n Punkten?
Wir bezeichnen mit die Anzahl der
Hebeltopologien beim n Punkten.
Die Tabelle 1 gibt
einige Beispiele, welche allenfalls von Hand ausgezŠhlt werden kšnnen. Das
erste Beispiel, also , ist allerdings nicht sinnvoll, da es keine Gleichgewichtsfigur
mit nur einem Punkt geben kann. Allerdings passt diese Festlegung zu den
nachfolgenden Formeln. Sie ist also zu verstehen wie etwa die ãunsinnigeÒ Definition
.
Tab. 1: Beispiele
Wir gehen nun davon
aus, dass wir fŸr kennen und
suchen eine Rekursionsformel fŸr .
Dazu unterteilen wir
die n in zwei nichtleere disjunkte
Teilmengen von k und Punkten. Dies
geht auf Arten. Zur
Teilmenge von k Punkten kšnnen
wir auf Arten den
Schwerpunkt konstruieren, zur KomplementŠrmenge auf Arten. Nun
unterteilen wir die Verbindungsstrecke der Schwerpunkte der beiden Teilmengen
im VerhŠltnis und erhalten so
den Schwerpunkt der n Punkte.
Somit ist:
Der Faktor ist
erforderlich, weil die Teilmengen fŸr j
Punkte sowohl fŸr wie auch fŸr berŸcksichtigt
werden. Die Summe lŠuft von 1 bis , weil die Teilmengen mindestens 1 und hšchstens Elemente
enthalten.
Mit Hilfe dieser
Rekursionsformel und dem Startwert erhalten wir die
Werte der Tabelle 2, Spalte 2.
Tab. 2: Beispiele.
Zerlegung
Die Zahlen werden rasch
gro§. Aus der dritten Spalte der Tabelle 2 ergibt sich die Vermutung fŸr eine explizite
Formel:
FŸr den Beweis der expliziten Formel arbeiten wir mit den Catalan-Zahlen. Die Anregung dazu erhielt ich von P. W. in A..
Eugne Charles Catalan,
(1814 in BrŸgge – 1894), belgischer Mathematiker
Definition der
Catalan-Zahlen:
Numerisch:
FŸr die Catalan-Zahlen
gilt die Rekursion von Segner 1758 (Johann Andreas von Segner, 1704 in Pressburg (Bratislava) –
1777 in Halle):
Mit Hilfe der
Catalan-Zahlen kšnnen wir die vermutete explizite Formel umschreiben:
Zu zeigen ist: erfŸllt die
Rekursion
mit dem Startwert .
Startwert: ok.
Rekursion:
Linke Seite:
Rechte Seite:
Nun verwenden wir die
Rekursion von Segner:
ZunŠchst ist:
Durch Umindizieren ergibt
sich:
Somit erhalten wir fŸr
die rechte Seite:
Dies ist gleich der
linken Seite. — Die explizite Formel ist damit bewiesen.
Die Abbildung 16 zeigt
den Konstruktionsalgorithmus fŸr regelmŠ§ige Vielecke.
Abb. 16:
Konstruktionsalgorithmus in regelmŠ§igen Vielecken
Es zeichnet sich eine
Grenzfigur ab. Die Abbildung 17 zeigt die Situation fŸr und .
Abb. 17: Eine Grenzfigur
zeichnet sich ab
Die Grenzfigur ist ein
halbes Herz. Es kann zu einem ganzen Herz erweitert werden (Abb. 18).
Abb. 18: Herz
Die Herzkurve hat die
Parameterdarstellung:
Es handelt sich also
nicht um die Ÿbliche Kardioide. Die Abbildung 19 zeigt unsere Herzkurve (rot)
und die Kardioide (blau).
Abb. 19: Herzkurve und
Kardioide
Die Kardioide hat
nŠmlich die Parameterdarstellung:
Literatur
[Stoeter / Wohlrabe 2009] Stoeter, Carsten und Wohlrabe, Klaus: Vergessene LŠngen. Besondere Eigenschaften regulŠrer Vielecke. MNU Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 62/1 (15. 1. 2009), S. 10-14, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss.
[Stoeter / Wohlrabe 2011] Stoeter, Carsten und Wohlrabe, Klaus: Zu: Vergessene LŠngen. MNU Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 64/1 (15. 1. 2011), S. 56, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss.
[Walser 2011] Walser, Hans: Gleichgewichtsfiguren: Thales, Pythagoras und Archimedes. MNU Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht 64/7 (15. 10. 2011), S. 442-443, ISSN 0025-5866.
Hans Walser
Mathematisches Institut
UniversitŠt Basel
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