Hans Walser, [20200709]

Umviereck

Anregung: M. E., B.

1   Worum geht es?

Die Seitenmitten eines beliebigen Viereckes bilden ein Parallelogramm. 

Wir gehen nun umgekehrt von einem Parallelogramm aus und suchen Umvierecke, deren Seitenmittenviereck das gegebene Parallelogramm ist.

Es gibt unendlich viele Lšsungen, und zwar sowohl konvexe, nicht konvexe  und Ÿberschlagene Vierecke.

Konstruktion der Lšsungen mit Punktspiegelungen.

Die Verallgemeinerung auf n-Ecke fŸhrt zu einem ParitŠtsproblem bezŸglich n. Bei ungeradem n gibt es genau eine Lšsung. Bei geradem n gibt es entweder keine oder dann unendlich viele Lšsungen.

2   Seitenmittenviereck

Das Seitenmittenviereck ABCD eines beliebigen Viereckes RSTU ist ein Parallelogramm (Abb. 1). Dieser Satz geht auf Varignon zurŸck (Pierre de Varignon, * 1654 Caen,   23. Dezember 1722 Paris).

Abb. 1: Seitenmittenviereck

3   Parallelogramm gegeben

Es sei nun ein Parallelogramm ABCD gegeben, und wir suchen ein passendes Umviereck RSTU. Dazu arbeiten wir mit Punktspiegelungen. Wir wŠhlen einen beliebigen Startpunkt R (Abb. 2a). Diesen Punkt R spiegeln wir an der Ecke A und erhalten den Spiegelpunkt S (Abb. 2b).

Abb. 2: Start  und Punktspiegelung

Nun spiegeln wir den Punkt S an der Ecke B und erhalten so den Punkt T (Abb. 3a).

Abb. 3: Zweiter Schritt. Strahlensatz

Auf Grund des Strahlensatzes ist der Vektor  das Doppelte des Vektors .

Wir spiegeln T an C und erhalten U (Abb. 4a). Die Spiegelung von U an D liefert den Punkt V (Abb. 4b).

Abb. 4: Ist V = R?

Wir vermuten, dass V = R. Dies kann eingesehen werden wie folgt. Der Vektor  ist das Doppelte des Vektors  und damit entgegengesetzt gleich zum Vektor .

Wir haben eine sogenannte Schlie§ungsfigur.

Wegen der Punktspiegelungen sind die Ecken des Parallelogramms ABCD die Seitenmitten des Viereckes RSTU. Das Viereck RSTU ist also ein Umviereck zum Parallelogramm ABCD und damit eine Lšsung unseres Problems. Da der Startpunkt R beliebig gewŠhlt wurde, gibt es unendlich viele Lšsungen.

4   FlŠcheninhalt

Der FlŠcheninhalt des Umviereckes RSTU ist doppelt so gro§ wie der FlŠcheninhalt des Parallelogramms ABCD. Um diese einzusehen, setzen wir dem Parallelogramm ein zweites kongruentes Parallelogramm an (gelb in Abb. 5a). Damit ergibt sich ein Zerlegungsbeweis (Abb. 5b).

Abb. 5: Zerlegungsbeweis

5   Parallelogrammraster

Wir betten die Figur in ein (unendlich gro§ gedachtes) Parallelogrammraster ein, das wir schachbrettmŠ§ig fŠrben (Abb. 6).

Abb. 6: Parallelogrammraster

Wir sehen, dass die Lšsungspunkte R, S, T und U je in einem gelben Parallelogramm liegen.

6   Weitere Lšsungen

Durch Variation des Startpunktes R erhalten wir weitere Lšsungen (Abb. 7).

Abb. 7.1: Nicht konvexes Umviereck

Abb. 7.2: Nicht konvexes Umviereck

Abb. 7.3: Nicht konvexes Umviereck

Abb. 7.4: †berschlagenes Umviereck

Die Lšsungspunkte R, S, T  und U sind jeweils in einem Rasterrechteck gleicher Farbe.

 

Abb. 7.5: †berschlagenes Umviereck

7   SonderfŠlle

Durch spezielle Wahl des Startpunktes R auf Gitterlinien erhalten wir Dreiecke (Abb. 8).

Abb. 8.1: Sonderfall Dreieck

Abb. 8.2: ã†berschlagenesÒ Dreieck

Abb. 8.3: Mehrfachpunkt

8   LšsungsŸbersicht

Abb. 9: LšsungsŸbersicht. Position des Startpunktes

á            Startpunkt R im gelben Bereich: Konvexe Lšsung

á            Startpunkt R im hellblauen Bereich: Nichtkonvexe Lšsung

á            Startpunkt R im orangen Bereich: †berschlagenes Viereck als Lšsung

á            Startpunkt R auf den lila Gitterlinien: Ausgeartete Lšsung (Dreieck)

 

NatŸrlich stšrt die asymmetrische Lage des Kreuzes bezŸglich des gegebenen Parallelogramms ABCD. Das hat damit zu tun, dass der Startpunkt R nur einer der vier Eckpunkte der Lšsung ist.

Zwischenbemerkung: Wegen der affinen Invarianz der Thematik hŠtten wir uns auf ein regulŠres Schachbrett mit Quadraten beschrŠnken kšnnen.

9   Ausblick und Verallgemeinerung

Problemstellung: Gegeben sei ein n-Eck A0A1...An–1. Indizierung zyklisch modulo n. Es ist also An = A0.

Gesucht ist ein Um-n-Eck R0R1...Rn–1 so dass Ai der Mittelpunkt der Strecke RiRi+1 ist.

Wir mŸssen eine Fallunterscheidung bezŸglich der ParitŠt von n organisieren.

9.1  Ungerade Eckenzahl

FŸr ungerades n gibt es genau eine Lšsung.

Im Folgenden Vorgehen und Beweisskizze fŸr n = 5.

Zum gegebenen FŸnfeck A0A1...A4 (Abb. 10.1a) wŠhlen wir einen beliebigen Probepunkt P0 (Abb.  10.1b).

 

Abb. 10.1: FŸnfeck und Versuchspunkt

Wir spiegeln den Probepunkt P0 an der Ecke A0 und erhalten den Punkt P1 (Abb. 10.2a).

Abb. 10.2: Durchspiegeln des Probepunktes

Dann spiegeln wir weiter und erhalten schlie§lich den Endpunkt P5 (Abb. 10.2b). In der Regel fŠllt P5 leider nicht mit dem Probepunkt P0 zusammen. Wir haben keine Schlie§ungsfigur.

Zwischenbemerkung: Wenn wir weiterspiegeln, also P5 wieder an A0, P6 wieder an A1 und so weiter, wird P10 = P0. Nach zwei Runden ergibt sich eine Schlie§ungsfigur.

Nun nehmen wir den Mittelpunkt R0 der Strecke P0P5 (Abb. 10.3a). Wenn wir diesen Mittelpunkt durchspiegeln, erhalten wir das gesuchte Um-n-Eck R0R1...Rn–1 (Abb.10.3b).

Abb. 10.3: Der Mittelpunkt isses

Beweisskizze: Wir verschieben den Punkt P0 in Richtung P5 und spiegeln den Verschiebungsvektor durch. Die Endlage des Verschiebungsvektors ist gegenlŠufig zum anfŠnglichen Verschiebungsvektor. Dies ist eine Folge davon, dass die Anzahl der Punktspiegelungen ungerade ist. Die Punkte P0 und P5 bewegen sich also aufeinander zu und treffen sich in der Mitte.

Eine Zusammensetzung von fŸnf Punktspiegelungen kann durch eine einzige Punktspiegelung ersetzt werden. In unserem Fall ist deren Zentrum der Punkt R0.

Zwischenbemerkung: Wenn wir eine zweite Spiegelungs-Runde anhŠngen, ergibt sich ein zweites Mal die Punktspiegelung mit dem Punkt R0 als Zentrum. Die Zusammensetzung einer Punktspiegelung mit sich selber ist aber die IdentitŠt. Dies erklŠrt die Schlie§ungseigenschaft bei zwei Runden.

Im Beispiel der Abbildung 10.3b ist die Lšsung konvex. Die Abbildung 11 zeigt eine nichtkonvexe und eine Ÿberschlagende Lšsung. In beiden FŠllen ist das basierende FŸnfeck (rot getšnt) aber konvex.

Abb. 11: Nicht konvexe und Ÿberschlagene Lšsungen

9.2  Gerade Eckenzahl

FŸr gerades n gibt es entweder keine oder dann gleich unendlich viele Lšsungen. Der Regelfall ist, dass es keine Lšsung gibt.

Im Folgenden wird exemplarisch der Fall n = 6 besprochen.

Wenn wir analog zur Abbildung 10 einen Probepunkt P0 reihum durchspiegeln, ist der Endpunkt P6 in der Regel von P0 verschieden. Nun verschieben wir wiederum den Probepunkt P0 in Richtung P6. Durchspiegeln des Verschiebungsvektors liefert einen gleichgerichteten Vektor. Dies liegt daran, dass die Zusammensetzung einer geraden Anzahl von Punktspiegelungen durch eine Translation ersetzt werden kann. (Der Translationsvektor ist der Vektor von P0 nach P6). Beim Verschieben von P0 in Richtung P6 wendet sich der Punkt P6 um gleich viel von P0 weg. Da ist nichts zu wollen.

Zwischenbemerkung: Wenn wir eine zweite Spiegelungs-Runde anhŠngen, ist der Punkt P12 sogar doppelt so weit von P0 entfernt als P6. Wir erhalten kein geschlossenes Umvieleck.

Im Ausnahmefall P6 = P0 ist die Translation die IdentitŠt. Wir haben in diesem Ausnahmefall eine Schlie§ungsfigur. Es gibt unendlich viele Um-n-Ecke.

Aus den †berlegungen der Abbildung 3b (Strahlensatz) ergibt sich fŸr n = 6 folgende notwendige und hinreichende Bedingung fŸr das Vorliegen des Ausnahmefalls. Die drei Seitenvektoren ,  und  (blau in Abb. 12) des Basissechsecks A0A1...A5 mŸssen ein geschlossenes Vektordreieck bilden. Die Zusammensetzung der Translationen mit diesen drei Vektoren ist die IdentitŠt. Formal und allgemein:

 

                                                                                                       (1)

 

 

 

 

Man beachte, dass die Formel (1) auch das Parallelogramm (fŸr n = 4) enthŠlt.

Da das Vektorsechseck geschlossen ist und wegen der KommutativitŠt der Vektoraddition bilden die drei anderen Seitenvektoren (magenta in Abb. 12) ebenfalls ein geschlossenes Vektordreieck.

Abb. 12: Notwendige und hinreichende Bedingung

Zwischenbemerkung: Die Figur der Abbildung 12 hat die Topologie des Kuboktaeders.

Wir kšnnen nun einen beliebigen Startpunkt R0 wŠhlen und erhalten mit Durchspiegeln eine Lšsung. Die Abbildung 13 zeigt ein Beispiel.

Ab. 13: Umsechseck, Beispiel

Die Abbildung 14 zeigt fŸr dasselbe Basissechsecks A0A1...A5 wie bei der Abbildung 13 ein nicht konvexes und ein Ÿberschlagenes Umsechseck.

Abb. 14: Nicht konvexes und Ÿberschlagenes Umsechseck

 

Websites

 

Wikipedia: Pierre de Varignon

https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_de_Varignon

 

Walser Hans: Schlie§ungsfiguren

http://www.walser-h-m.ch/hans/Schliessungsfiguren/