Hans Walser, [20150837]

TangentenfŸnfeck

1     Worum geht es?

Zu fŸnf gegebenen Strecken gibt es im Prinzip genau ein passendes TangentenfŸnfeck.

Ein Gelenkmodell aus fŸnf vorgegebenen Strecken hat also im Prinzip genau eine TangentenfŸnfeckposition.

Es werden verschiedene Verfahren zur Konstruktion dieses TangentenfŸnfeckes angegeben. Wir arbeiten mit DGS (dynamische Geometrie Software), mit CAS (Computer-Algebra-System) und mit HOG (hands on geometry).

Bemerkung 1: NatŸrlich mŸssen die fŸnf Strecken die FŸnfeckbedingung erfŸllen. Jede Strecke muss kŸrzer sein als die Summe der vier anderen.

Bemerkung 2: Die Situation ist všllig anders als beim Tangentenviereck. Beim Tangentenviereck muss die alternierende Seitensumme verschwinden. Dann gibt es aber gleich unendlich viele Tangentenvierecke.

2     Vorbereitung

Es seien also fŸnf Strecken  (Indizes modulo 5), gegeben, welche die FŸnfeckbedingung erfŸllen.

Nun zeichnen wir ein beliebiges FŸnfeck  mit den vorgegebenen SeitenlŠngen  (Indizes modulo 5). Dieses FŸnfeck ist natŸrlich in aller Regel kein TangentenfŸnfeck (Abb. 1). Ein Kreis, der drei aufeinanderfolgende Seiten berŸhrt, berŸhrt die Ÿbrigen Seiten nicht.

 

Abb. 1: Beliebiges FŸnfeck mit vorgegebenen Seiten

 

Weiter wŠhlen wir auf der Seite  einen beliebigen Punkt  und dazu einen Bogen  mit  auf der Seite  dem Zentrum  (Abb. 2).

 

Abb. 2: Startpunkt und Bogen

 

Und nun bšgeln wir durch gemŠ§ Abbildung 3. Wir erhalten einen Endpunkt  auf der Seite . Weiter zeichnen wir  als Mittelpunkt der Strecke . Man beachte, dass  nicht der Mittelpunkt der Strecke  ist.

 

Abb. 3: Bogenfolge. Mittelpunkt

 

Wenn wir nun mit dem Punkt  als Startpunkt die analoge Bogenfolge zeichnen, schlie§t sich die  Figur (Abb. 4).

 

Abb. 4: Schlie§ungsfigur

 

Die Schlie§ungseigenschaft ist unmittelbar einsichtig. Sie hŠngt wesentlich davon ab, dass die Eckenzahl fŸnf eine ungerade Zahl ist. Die analoge Schlie§ungsfigur ergibt sich bei jedem Vieleck mit ungerader Eckenzahl.

Die Leserin oder der Leser kann sich die Situation in Vielecken mit gerader Eckenzahl Ÿberlegen.

3     Was sollen diese Vorbereitungen?

Unser FŸnfeck (Abb. 1 – 4) ist kein TangentenfŸnfeck. Wenn wir uns aber nun ein echtes TangentenfŸnfeck mit den BerŸhrungspunkten  (Indizes modulo 5) vorstellen, sehen wir gleich, dass dort die entsprechende Schlie§ungsfigur auch funktioniert, da die beiden von einer Ecke ausgehenden Tangentenabschnitte jeweils gleich lang sind. Unsere Punkte  haben also die korrekte Position der BerŸhrungspunkte. Leider stimmt aber die Lage der Seiten noch nicht.

4     Etwas Rechnung

An dieser Stelle ist etwas Rechnung passend.

ZunŠchst definieren wir s als den halben Umfang:

 

                                                                                           (1)

 

Weiter sei  der Radius des ersten roten Bogens in den Abbildungen 2 und 3. Dann ist:

                                                                                 (2)

 

 

 

 

Weiter ist:

 

                                                                      (3)

 

Damit erhalten wir fŸr den Mittelpunkt  der Strecke :

 

                                 (4)

 

Der Radius  fŠllt heraus, das hei§t die Position des Punktes  ist irrelevant.

Unter Verwendung von (4) kann der Punkt  direkt konstruiert werden, ohne den Umweg gemŠ§ Abbildung 3.

Analog finden wir:

 

                                                                                             (5)

 

 

 

 

 

 

oder allgemein (Indizes modulo 5):

 

                                                                                   (6)

 

Diese Formeln erinnern an die einschlŠgigen Formeln beim Dreiecksinkreis.

5     Tangentenfolge

Wir zeichnen eine Tangentenfolge wie folgt: Aus der Figur der Abbildung 3 Ÿbernehmen wir die Strecke  und darauf den Punkt . In  errichten wir die Senkrechte zur Strecke  und wŠhlen darauf einen Punkt M. Dann zeichnen wir den Kreis k mit Mittelpunkt M durch  (Abb. 5). Die Strecke  ist tangential an den Kreis k.

Abb. 5: Konstruktionsstart

 

Nun zeichnen wir von  aus die zweite Tangente an den Kreis k. Darauf tragen wir von  aus die Strecke  ab und erhalten so den Punkt (Abb. 6).

Abb. 6: Erster Schritt

 

Den BerŸhrungspunkt  finden wir entweder durch Spiegeln von  an der Strecke  oder mit einem Bogen gemŠ§ Abbildung 6. Das ist nicht mehr der Punkt gleichen Namens wie in der Abbildung 4.

Nun fahren wir entsprechend weiter, bis wir zum Punkt  gelangen (Abb. 7). Weiter geht es nicht mehr, da wir die Strecken  aufgebraucht haben.

Abb. 7: Endsituation

 

Nun sollte aber  auf  zu liegen kommen, wie die Abbildung 8 suggeriert.

Abb. 8: Wunschtraum

 

Es gibt zwei Mšglichkeiten dazu.

6     Die Pyramide

Wir schneiden im Prinzip (bis auf eine Klebe- oder Fixierlasche) den gelben Sektor weg. Dann falten wir lŠngs der schwarzen Linien  und erhalten so den Mantel einer (unregelmŠ§igen) geraden FŸnfkant-Pyramide. Das BodenfŸnfeck dieser Pyramide ist das gesuchte TangentenfŸnfeck.

Im Anhang ein Schnittmuster. Die Klebe- oder Fixierlasche ist lila getšnt. Sie kommt unter die SeitenflŠche  zu liegen und kann entweder verklebt (irreversibel) oder mit einer BŸroklammer fixiert werden. Im Unterricht ist die Fixation mit einer BŸroklammer zu empfehlen. Das Modell kann dann wieder auseinandergenommen werden. Die Abbildung 9 zeigt die aus dem Schnittmuster im Anhang gebaute Pyramide. Das BodenfŸnfeck ist aus der Sicht von oben gut zu erkennen. Allenfalls muss die Pyramidenspitze mit dem Zeigefinger etwas nach unten gedrŸckt werden, damit sich das BodenfŸnfeck schšn eben ausbildet. Die blauen Geraden sind Falllinien (Linien, auf denen es am steilsten hinuntergeht) der SeitenflŠchen der Pyramide.

 

    

Abb. 9: Pyramide

 

Die Projektionen des roten Kreises k und der blauen Bogen auf die Bodenebene sind keine Kreise, sondern Ellipsen. Der Inkreis des TangentenfŸnfecks ist also nicht sichtbar.

7     Einschiebekonstruktion

In der Abbildung 8 ist offensichtlich der Kreis k zu gro§. Wir verkleinern ihn, indem wir den Punkt M nach unten schieben. Dies setzt DGS voraus. Die Abbildungen 10 und 11 zeigen zwei Zwischenstationen.

Abb. 10: Zwischenstation

 

Der Radius des Inkreises wird dabei kleiner.

Abb. 11: Weitere Zwischenstation

 

Die Abbildung 12 zeigt die Endlage, also das TangentenfŸnfeck mit den gegebenen SeitenlŠngen.

Abb. 12: TangentenfŸnfeck

 

8     Ortskurven

Bei unserem Einschiebeverfahren bleiben die Basispunkte  und  fest. Die Ÿbrigen Eckpunkte bewegen sich. Die Ortskurve des Punktes  ist der Kreis um  mit dem Radius  (Zyan in Abb. 13).

 

 

Abb. 13: Kreis als Ortskurve

 

Die Ortskurve von  resultiert aus einer †berlagerung zweier Kreisbewegungen (Blau in Abb. 14). Sie hat einen Doppelpunkt.

 

Abb. 14: †berlagerung zweier Kreisbewegungen

 

Die Ortskurve von  resultiert aus einer †berlagerung dreier Kreisbewegungen (DunkelgrŸn in Abb. 15). Sie hat einen Dreifachpunkt und einen Doppelpunkt.

 

Abb. 15: †berlagerung dreier Kreisbewegungen

 

Die Ortskurve von  ist gar eine †berlagerung von vier Kreisbewegungen (Lila in Abb. 16). Sie hat einen Vierfachpunkt und einen Dreifachpunkt.

 

Abb. 16: †berlagerung von vier Kreisbewegungen

 

Der Vierfachpunkt liegt genau im Punkt . Das hei§t aber, dass unser Problem vier Lšsungen hat, da es vier Mšglichkeiten gibt, in denen  mit  zusammenfŠllt. Wie sehen diese vier Lšsungen aus?

9     Die vier Lšsungen

Die Abbildung 17 zeigt die vier Situationen, in denen der Punkt  mit  zusammenfŠllt. Die Abbildung 17a entspricht dem Beispiel der Abbildung 12. Der Umlaufsinn der Eckpunkte ist positiv. Die Abbildung 17b zeigt eine Sternlšsung mit positivem Umlaufsinn. Auf einem vollen Rundgang lŠngs der Seiten wird der Inkreis zweimal umrundet. Die Abbildungen 17c und 17d zeigen symmetrische Lšsungen zu den Lšsungen der Abbildungen 17b und 17a. Der Umlaufsinn ist negativ.

Die Sternlšsungen sind unregelmŠ§ige Pentagramme.

 

Abb. 17: Die vier Lšsungen

 

10  Gelenkmodell

Wir bauen ein Gelenkmodell mit

 

                                                                 (7)

 

Die Abbildung 18a zeigt das Gelenkmodell. In der dargestellten Position ist es offensichtlich kein TangentenfŸnfeck.

 

    

Abb. 18: Gelenkmodell

 

Mit (5) kšnnen wir auch die Position der BerŸhrungspunkte im TangentenfŸnfeckfall ausrechnen. In der Abbildung 18b sind diese BerŸhrungspunkte markiert.

Die TangentenfŸnfeck-Position finden wir indem das Gelenkmodell Ÿber einen Kegel stŸlpen bis zum Anschlag (Abb. 19).

 

    

Abb. 19: TangentenfŸnfeck

 

Wir sehen, dass unsere theoretisch berechneten BerŸhrungspunkte durchaus am richtigen Ort sind.

11  Rechnerische Lšsung

Bei gegebenen SeitenlŠngen des FŸnfeckes kšnnen wir mit (5) die Positionen der BerŸhrungspunkte auf den Seiten berechnen. Somit fehlt nur noch der Inkreisradius r. Die Abbildung 20 gibt die dazu nštigen Angaben.

 

Abb. 20: Beschriftungen und Angaben

 

Es ist:

 

                                 (8)

 

Wegen der Innenwinkelsumme  im FŸnfeck ergibt sich aus (8):

 

                     (9)

 

Das ist eine Gleichung fŸr r, die wir mit CAS lšsen.

Im allgemeinen Fall ergibt sich eine sehr lange Formel fŸr r. Daher im Folgenden nur der numerische Fall (7) unseres Gelenkmodells der Abbildungen 18 und 19.

 

restart:

a[0]:=10; a[1]:=9; a[2]:=8; a[3]:=7; a[4]:=6;

a[5]:= a[0]: a[6]:= a[1]:

s:=1/2*(a[0]+a[1]+a[2]+a[3]+a[4]);

glg:=sum(arctan(r/(s-a[k mod 5]-a[(k+2) mod 5])), k=0..4)=3/2*Pi;

r=solve(glg, r);

 

Wir erhalten:

 

Abb. 21: Ergebnis

 

12  Konstruktion

Die Abbildung 22 skizziert die Konstruktion des Inkreisradius r und damit des TangentenfŸnfeckes. Dabei wird verwendet, dass die Zahlen 41 = 25 + 16 und 17 = 16 + 1 beide Summen von Quadraten sind.

 

Abb. 22: Konstruktion

 

Das Resultat stimmt mit dem Resultat der Abbildung 19 Ÿberein. 

Und die Sternlšsung?

In einem Pentagramm ist die Innenwinkelsumme nur ¹. Wir haben die Gleichung (9) entsprechend zu modifizieren (Abb. 23).

 

Abb. 23: Modifikation fŸr Pentagramm

 

Die Abbildung 24 zeigt die zugehšrige Konstruktion.

 

Abb. 24: Pentagramm-Stern

 

Die Abbildung 25 zeigt das entsprechende Gelenkmodell auf dem Kegel. Die BerŸhrungspunkte sind dieselben wie in der Abbildung 19.

 

Abb. 25: Weihnachten kommt bestimmt

 

13  Kommentare zu den Konstruktionsverfahren

Einschiebelšsungen oder †berstŸlpungen sind keine Lšsungen im klassischen Sinn ãmit Zirkel und LinealÒ. Aber bereits Archimedes hat fŸr die Winkeldrittelung eine Einschiebelšsung gefunden. Das Schnittmuster der Abbildung 8 und im Anhang ist zwar mit Zirkel und Lineal konstruierbar. Aber das Ausrichten der Pyramide auf eine ebene GrundflŠche ist ebenfalls nur eine Einschiebelšsung.

Das Pyramidenverfahren ist fŸr die Sternlšsung ungeeignet, weil sich die SeitenflŠchen der Pyramide gegenseitig durchdringen mŸssten.

14  Ausblick

Bei Tangentenvielecken muss die ParitŠt der Eckenzahl unterschieden werden.

14.1 Ungerade Eckenzahl

Die fŸr das TangentenfŸnfeck beschriebenen Verfahren lassen sich auf Tangentenvielecke mit ungerader Eckenzahl Ÿbertragen. Es gibt dabei noch weitere Sternlšsungen. Bei sieben Ecken etwa kann der Inkreis zweimal oder gar dreimal umrundet werden.

14.2 Gerade Eckenzahl

Eine notwendige aber (mit Ausnahme des Tangentenvierecks) nicht hinreichende Bedingung ist das Verschwinden der alternierenden Seitensumme. Wenn diese Bedingung aber erfŸllt ist gibt es fŸr ein Gelenkmodell gleich unendlich viele Positionen mit einem Inkreis.

Die Abbildung 26 zeigt exemplarisch zwei verschiedene gleichseitige Tangentensechsecke.

 

Abb. 26: Tangentensechsecke gleicher SeitenlŠnge

 

Anhang

Schnittmuster fŸr die FŸnfkant-Pyramide