Hans Walser, [20080316a]

Polygone im Raum

Anregung: Chr. W., B.

1        Worum es geht

Wir untersuchen die Winkelsumme von geschlossenen rŠumlichen Polygonen. Diese Winkelsumme ist kleiner oder gleich der Winkelsumme des ebenen Polygons gleicher Eckenzahl, mit Gleichheit genau im Fall eines ebenen Polygons. Die †berlegungen benŸtzen die RichtungsŠnderungen der Seitenvektoren, also die Au§enwinkel.

2        Beispiele

In einem ebenen FŸnfeck ist die Winkelsumme . Die linke Figur zeigt ein nicht ebenes rŠumliches FŸnfeck mit fŸnf rechten Winkeln, also der Winkelsumme 450¡. Im FŸnfeck der rechten Figur sind zwei rechte Winkel, zwei Winkel von 45¡ und ein Winkel von 60¡, zusammen 330¡.

RŠumliche FŸnfecke

3        Das sphŠrische Au§enwinkelbild

Wir zeichnen zu einem ebenen Polygon die RichtungsŠnderungen der Seitenvektoren als Au§enwinkelsektoren ein. Durch Zusammensetzen dieser Au§enwinkelsektoren erhalten wir eine Kreisscheibe. Die Summe der Au§enwinkel ist 2¹.

Zusammensetzung der Au§enwinkel

Wird der Radius der Winkelsektoren gleich 1 gewŠhlt, sind die Winkelbogen die Au§enwinkel im Bogenma§ und die Kreisscheibe der Einheitskreis.

Da sich Innen- und Au§enwinkel je auf ¹ ergŠnzen, ergibt sich fŸr ein ebenes Polygon mit n Ecken die Innenwinkelsumme .

FŸr ein rŠumliches Polygon fŸhrt das entsprechende Vorgehen auf eine Figur in der Einheitskugel, das sphŠrische Au§enwinkelbild. Dieses sphŠrische Au§enwinkelbild hat folgende Eigenschaften:

Auf der OberflŠche der Einheitskugel ergibt sich ein Polygon, das aus Gro§kreisbogen zusammengesetzt ist. Die LŠngen dieser Gro§kreisbogen entsprechen den Au§enwinkeln. Die Richtung vom Kugelmittelpunkt zu einem Eckpunkt dieses Gro§kreisbogen-Polygons ist gleich der Richtung des entsprechenden Seitenvektors des rŠumlichen Polygons.

SphŠrisches Au§enwinkelbild

4        Die Au§enwinkelsumme

Es gilt:

In einem geschlossenen rŠumlichen Polygon ist die Au§enwinkelsumme grš§er oder gleich , mit Gleichheit genau beim ebenen Polygon.

Der Beweis geht indirekt mit einer Fallunterscheidung.

Fall 1: Die GesamtlŠnge des sphŠrischen Au§enwinkelbildes sei kleiner als .

Eine geschlossene Kurve auf der OberflŠche der Einheitskugel, deren GesamtlŠnge kleiner als  ist, verlŠuft vollstŠndig in einer HalbsphŠre. Durch Drehen der Situation kšnnen wir erreichen, dass dies die obere (nšrdliche) HalbsphŠre ist.

Dies gilt insbesondere auch fŸr das sphŠrische Au§enwinkelbild. Nun sind die Richtungen vom Kugelmittelpunkt zu den Ecken des sphŠrischen Au§enwinkelbildes die Richtungen der Seitenvektoren des ursprŸnglichen rŠumlichen Polygons. Diese Richtungen weisen alle nach oben, das rŠumliche Polygon schraubt sich also in die Hšhe und kann nicht geschlossen sein.

Fall 2: Die GesamtlŠnge des sphŠrischen Au§enwinkelbildes sei gleich .

Sonderfall 2.1: Das sphŠrische Au§enwinkelbild ist ein Gro§kreis. Dann liegen alle Seitenvektoren des rŠumlichen Polygons in einer Ebene, das Polygon ist eben.

Sonderfall 2.2: Das sphŠrische Au§enwinkelbild besteht aus zwei halben Gro§kreisen (Figur). 

Zwei halbe Kreisscheiben

In diesem Sonderfall sind zwei Seitenvektoren horizontal, alle Ÿbrigen weisen nach oben. Das rŠumliche Polygon ist nicht geschlossen.

In den Ÿbrigen FŠllen liegt das sphŠrische Au§enwinkelbild auf einer HalbsphŠre; das Polygon ist nicht geschlossen.

Die Au§enwinkelsumme ist somit , mit Gleichheit genau beim ebenen Polygon. Die Innenwinkelsumme eines Polygons mit n Ecken ist daher kleiner , mit Gleichheit genau beim ebenen Polygon.

5        Spezielle rŠumliche Polygone

5.1      Gleichseitiges Polygon

In einem gleichseitigen rŠumlichen Polygon sind alle Seitenvektoren gleich lang und kšnnen auf die LŠnge 1 normiert werden. Im sphŠrischen Au§enwinkelbild sind sie dann direkt die Vektoren vom Kugelzentrum zu den Ecken des sphŠrischen Au§enwinkelbildes. In einem geschlossenen gleichseitigen Polygon ist die Summe der Seitenvektoren null; der Schwerpunkt der Ecken des sphŠrischen Au§enwinkelbildes ist also der Kugelmittelpunkt.

5.2      Gleichwinkliges Polygon

Die Innenwinkel und damit auch die Au§enwinkel sind gleich. Das sphŠrisches Au§enwinkelbild ist ein gleichseitiges Gro§kreisbogen-Polygon.

In einem gleichwinkligen Polygon mit n Ecken ist der Au§enwinkel , der Innenwinkel , mit Gleichheit genau beim ebenen gleichwinkligen Polygon.

5.3      Gleichseitig-gleichwinkliges Polygon

Das zugehšrige Au§enwinkelbild ist ein gleichseitiges Gro§kreisbogen-Polygon mit dem Eckenschwerpunkt im Kugelmittelpunkt.

5.3.1    Gleichseitig-gleichwinkliges FŸnfeck

Nach einem Satz von B. L. van der Waerden ist ein gleichseitig-gleichwinkliges FŸnfeck eben, also das regulŠre ebene Pentagon (vgl. [van der Waerden 1970], [LŸssy/Trost 1970], [Irminger 1970]).

5.3.2    Gleichseitig-gleichwinkliges Polygon gerader Eckenzahl

Das einfachste Beispiel eines nicht ebenen gleichseitig-gleichwinkligen Polygons gerader Eckenzahl  sind die Mantelkanten eines geraden Antiprismas mit einem regulŠren n-Eck als Deck- und GrundflŠche. Deck- und GrundflŠche kšnnen in der Hšhe beliebig auseinander gezogen werden. Dadurch wird der Innenwinkel beliebig klein. Das Polygon hat eine n-teilige Drehsymmetrie. Die Figur zeigt ein Beispiel fŸr .

Gleichseitig-gleichwinkliges Zehneck

5.3.3    Gleichseitig-gleichwinkliges Polygon mit nicht primer Eckenzahl

Die Eckenzahl sei mn.

Wir denken uns eine Girlande aus mn gleich langen Strecken, welche in n Abschnitte zu je m Strecken unterteilt ist. Die Strecken sollen and den Enden gelenkig verbunden sein. Die Figur zeigt die ebene Situation fŸr  und , also fŸr .

Girlande

Diese Girlande denken wir uns nun als sphŠrisches Au§enwinkelbild auf der Einheitskugel. Statt Strecken nehmen wir jetzt gleich lange Gro§kreisbogen. Die GesamtlŠnge soll etwas grš§er als 2¹ sein. Die n AufhŠngepunkte denken wir uns gleichmŠ§ig auf einem nšrdlichen Breitenkreis verteilt; der erste und der letzte AufhŠngepunkt sind zu identifizieren. Der Schwerpunkt der mn Girlanden-Ecken liegt aus SymmetriegrŸnden auf der Kugelachse.

Nun bewegen wir den AufhŠnge-Breitenkreis nach oben oder unten, bis der Schwerpunkt der Girlanden-Ecken auf den Kugelmittelpunkt zu liegen kommt. Dann kšnnen wir die Vektoren vom Kugelmittelpunkt zu den Girlanden-Ecken der Reihe nach zu einem rŠumlichen Polygon zusammensetzen. Dieses ist geschlossen, gleichseitig und gleichwinklig, aber nicht eben. Es hat eine n-teilige Drehsymmetrie.

5.3.4    Offene Frage

Die Frage ist offen, ob es fŸr eine Primzahl grš§er als 5 ein nicht ebenes gleichseitig-gleichwinkliges Polygon gibt. Die †berlegungen von van der Waerden lassen sich nicht auf beliebige Primzahlen Ÿbertragen. Der Grund liegt darin, dass es im gleichseitig-gleichwinkligen FŸnfeck nur einen Typ von Diagonalen gibt, alle diese Diagonalen sind gleich lang.

Literatur

[Irminger 1970]               Irminger, H.: Zu einem Satz Ÿber rŠumliche FŸnfecke. Elemente der Mathematik. Band 25, 1970, S. 135-136

[LŸssy/Trost 1970]          LŸssy, W. und E. Trost: Zu einem Satz Ÿber rŠumliche FŸnfecke. Elemente der Mathematik. Band 25, Heft 4, 10. Juli 1970, S. 82-83

[van der Waerden 1970]  Van der Waerden, B. L.: Ein Satz Ÿber rŠumliche FŸnfecke. Elemente der Mathematik. Band 25, Heft 4, 10. Juli 1970, S. 73-78