Hans Walser, [20201110]

Inkreis

1   Worum geht es?

Alternative Methode zur Konstruktion des Inkreises eines Dreiecks. Mit DGS durchfŸhrbar. Benštigt werden implementierte Makros fŸr Kegelschnitte und fŸr Tangenten.

Fragen der Arbeitsškonomie, der logischen SchlŸssigkeit und der €sthetik.

2   Kommentiertes Vorgehen

In einem Dreieck ABC mit den Seiten a, b, c (mit in unserem Beispiel a < c < b) zeichnen wir die Hyperbel mit den Brennpunkten A und B durch C (Abb. 1.1). Die Software liefert mit dem Button ãHyperbel aus den beiden Brennpunkten und einem HyperbelpunktÒ beide HyperbelŠste. Wir benštigen nur den durch C verlaufenden Ast h.

Abb. 1.1: Hyperbel

Wir schneiden den Hyperbelast h mit der Seite AB (Abb. 2). Der Schnittpunkt D ist einer der Scheitelpunkt des Hyperbelastes h. Er ist auch der BerŸhrungspunkt des Inkreises mit der Seite AB. Dies kann wie folgt eingesehen werden: Der Hyperbelast h ist der Ort aller Punkte, deren Abstandsdifferenz zu A beziehungsweise B gleich ba ist. Somit ist:

 

                                                                                                        (1)

 

 

Andererseits ist:

 

                                                                                                               (2)

 

 

 

Daraus ergibt sich:

 

                                                       (3)

 

 

 

 

Das ist aber auch der Abstand des BerŸhrungspunktes von der Ecke B.

Abb. 1.2: Schnittpunkt D

In D zeichnen wir die Tangente nc an den Hyperbelast h (Abb. 1.3). Aus SymmetriegrŸnden ist diese Tangente normal zur Dreiecksseite AB. Wir hŠtten also ebensogut das Lot zu c in D zeichnen kšnnen.

Der Mittelpunkt I des gesuchten Inkreises liegt auf nc.

Abb. 1.3: Tangente in D

Nun zeichnen wir in C die Tangente wC an h (Abb. 1.4). Diese Tangente ist Winkelhalbierende des Dreieckswinkels bei C. Dies folgt daraus, dass bei einem Kegelschnitt mit zwei Brennpunkten die Winkelhalbierenden der Abstandsstrecken von einem Kegelschnittpunkt die Tangente und die Normale zum Kegelschnitt sind.

Der Mittelpunkt I des gesuchten Inkreises liegt auf dieser Winkelhalbierenden.

Abb. 1.4: Tangente in C

Der Schnittpunkt I von nc und wC ist der Mittelpunkt des Inkreises (Abb. 1.5).

Abb. 1.5: Mittelpunkt des Inkreises

Der gesuchte Inkreis des Dreiecks hat das Zentrum I und verlŠuft durch D (Abb. 1.6).

Abb. 1.6: Inkreis

Wir brauchen also sechs Schritte (ãHandgriffeÒ) fŸr die Konstruktion des Inkreises. Die Methode ist allerdings stark asymmetrisch, da sie zum Beispiel die drei Eckpunkte oder die drei Seiten des Dreiecks ganz unterschiedlich verwendet.

Analog kann auch ein Ankreis des Dreiecks konstruiert werden. Anstelle der Hyperbel wird mit einer Ellipse gearbeitet (Abb. 2).

Abb. 2: Ankreis

3   Vergleich mit konventioneller Methode

In der Schule wird der Inkreis traditionellerweise mit den Winkelhalbierenden konstruiert. Man beginnt mit zwei Winkelhalbierenden und deren Schnittpunkt (Abb. 3.1 bis 3.3).

Abb. 3.1: Erste Winkelhalbierende

Abb. 3.2: Zweite Winkelhalbierende

Abb. 3.3: Schnittpunkt der beiden Winkelhalbierenden

Nun wird vom Schnittpunkt aus das Lot auf eine Seite gefŠllt und der Schnittpunkt mit dieser Seite festgelegt (Abb. 3.4 und 3.5).

Abb. 3.4: Lot auf eine Seite

Abb. 3.5: Schnittpunkt

Jetzt kann der Inkreis gezeichnet werden (Abb. 3.6).

Abb. 3.6: Inkreis

Wir benštigen ebenfalls sechs Schritte zur Konstruktion des Inkreises. Auch diese Methode ist asymmetrisch bezŸglich der BerŸcksichtigung der Dreieckselemente.

Die beiden hier geschilderten Verfahren zur Konstruktion des Inkreises sind also vom Arbeitsaufwand her gesehen gleichwertig wenn auf die Anzahl der Schritte abstellt wird. Beide Methoden sind asymmetrisch bezŸglich der Dreieckselemente.

Der Kognitionsaufwand der beiden Methoden ist unterschiedlich. Das Verfahren der Abbildung 1 benštigt zum VerstŠndnis Kenntnisse Ÿber Kegelschnitte.

4   Problematik der Ortslinien

Das Verfahren der Abbildung 1 mit der Hyperbel  hat bei der Verwendung von dynamischer Geometrie Software eine weitere interessante TŸcke. In der Abbildung 1 habe ich mit dem Button ãHyperbel aus Brennpunkten und einem HyperbelpunktÒ gearbeitet und mir weiter nichts Ÿberlegt. Es hat funktioniert.

Nun lernt man aber in der Schule eine Abstandsdefinition fŸr die Hyperbel. In unserem Kontext hei§t das:

 

                                                                   (4)

 

 

 

 

Punkte mit der Bedingung (5) kšnnen (mit Zirkel und Lineal) wie folgt konstruiert werden.

Wir tragen die SeitenlŠnge a von C aus auf AC ab (Abb. 4.1). Teilpunkt sei E.

Abb.4.1: Abtragen der Seite a

Nun zeichnen wir einen Kreis k um A durch E (Abb. 4.2).

Dieser Kreis hat den Radius b – a. Er wird manchmal als Leitkreis bezeichnet.

Abb. 4.2: Leitkreis k

Auf dem Leitkreis k wŠhlen wir einen beliebigen Punkt Q und zeichnen den Strahl q von A aus Ÿber Q (Abb. 4.3).

Abb. 4.3: Beliebiger Punkt Q

Wir schneiden den Strahl q mit der Mittelsenkrechten m von EB. Der Schnittpunkt sei P (Abb. 4.4).

Abb. 4.4: Punkt P

FŸr P gilt folgendes. ZunŠchst ist:

 

                                                                                                                      (5)

 

 

 

Daraus ergibt sich:

 

                             (6)

 

 

 

Der Punkt P liegt wegen (4) auf dem Hyperbelast. Wir erhalten nun diesen Hyperbelast mit dynamischer Geometrie Software als Ortslinie von P bei Variation von Q (Abb. 4.5). Als Zugabe ergibt die Mittelsenrechte m als Hyperbeltangente in P.

Abb. 4.5: Hyperbelast

Damit sind wir also gleich weit wie in der Abbildung 1.1.

Und nun kommt der gro§e Frust: das System weigert sich, den Schnittpunkt D (Abb. 1.2) oder die Tangente wC (Abb. 1.4) anzugeben.

Ortslinien sind Sackgassen (Zs‡kutca). Wir kšnnen damit nicht weiterarbeiten. Der Hintergrund liegt wohl darin, dass Ortslinien eine Punkt fŸr Punkt Konstruktion mit Interpolation sind. Dies sieht auf dem Bildschirm gut aus, ist aber nicht exakt. Ortslinien sind also nur Visualisierungen, keine geometrische Elemente.

5   Schadensbegrenzung

Wir kšnnen die Ortslinie umgehen, indem wir die relevanten Positionen von Q selber wŠhlen. Also sozusagen hŠndisch. Wenn wir Q1 auf AB wŠhlen, wird m1 = nc (Abb. 5). Wenn wir Q2 = E wŠhlen, wird m2 = nc und wir kšnnen den Inkreis zeichnen.

Abb. 5: Arbeiten mit SonderfŠllen

Die einzelnen Arbeitsschritte sind:

(1)  Kreis um C mit Radius a.

(2)  Schnittpunkt E

(3)  Leitkreis k

(4)  Schnittpunkt Q1

(5)  Mittelsenkrechte m1

(6)  Punkt D

(7)  Mittelsenkrechte m2

(8)  Schnittpunkt I

(9)  Umkereis

6   Ein schšner Schnittpunkt

Gemeinsame Schnittpunkte von drei Linien werden in der Geometrie immer besonders gefeiert. In der Dreiecksgeometrie kennen wir den Seitenhalbierenden-Schnittpunkt, den Winkelhalbierenden-Schnittpunkt, den Hšhen-Schnittpunkt und den Mittelsenkrechten-Schnittpunkt. Neben  diesen vier Klassikern gibt es allerdings noch viele weitere Schnittpunkte (Walser 2012).

Der Legende nach war Hans Freudenthal (1905-1990) von solchen Schnittpunkten derart betroffen, dass er sich entschloss, sein Leben der Mathematik und ihrer Didaktik zu widmen.

Abb.6: Hans Freudenthal

Gemeinsame Schnittpunkte von zum Beispiel drei Geraden sind ein beliebtes Tummelfeld fŸr die Anwendung dynamischer Geometrie Software. Meist geht es darum, vermutete Schnittpunkte entweder zu falsifizieren oder aber ãempirischÒ zu erhŠrten. Technisch werden zwei der drei Geraden miteinander geschnitten, und dann wird untersucht, ob der so erhaltene Schnittpunkt auf der dritten Geraden liegt. DafŸr gibt es einen eigenen Button. Da allerdings der Test nur numerisch arbeitet, ist er rein geometrisch nicht schlŸssig.

Falls der Schnittpunkt verneint wird, kšnnen so lange hineinzoomen, bis die drei betrachteten Linien auseinanderdriften und ein Dreieck bilden.

Wenn allerdings der numerische Test ein positives Ergebnis liefert auch dem Zug-Modus standhŠlt, fŠllt es schwer, an der Existenz des Schnittpunktes zu zweifeln. SchŸlerinnen und SchŸlern sind Ÿberzeugt von der Stimmigkeit des Schnittpunktes und sind schwer zu motivieren, noch einen ãBeweisÒ dazu zu suchen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein logisch korrekter Beweis doch irgendwo einen logischen Fehler oder eine LŸcke enthŠlt, dŸrfte deutlich grš§er sein als die Wahrscheinlichkeit der Nichtexistenz eines numerisch und mit dem Zug-Modus empirisch erhŠrteten Schnittpunktes.

Doch zurŸck zu unseren Hyperbeln.

Wir zeichnen im Dreieck alle drei HyperbelŠste gemŠ§ (vgl. Abb. 1.1) ein. Jede Hyperbel hat zwei der drei Dreiecksecken als Brennpunkte und verlŠuft durch die jeweilige dritte Ecke (Abb. 7).

Abb. 7: Drei HyperbelŠste

Die Figur mutet etwas surrealistisch an und ist gewšhnungsbedŸrftig.

UnabhŠngig von der Frage nach dem vermuteten Schnittpunkt haben wir nun aber eine weitere Methode zur Konstruktion des Inkreises gefunden (Abb. 8).

Abb. 8: Inkreis

Die Fu§punkte der drei Hyperbelbšgen sind die BerŸhrungspunkte des Inkreises. Wir brauchen also nur noch den Kreis durch diese drei Punkte zu zeichnen.

Diese Methode braucht allerdings sieben Handgriffe statt nur sechs: je drei Mal die Hyperbel und den Schnittpunkt mit der Dreiecksseite. Dann den Kreis durch die drei Schnittpunkte. DafŸr ist diese Methode vollstŠndig symmetrisch bei der BerŸcksichtigung der Dreieckselemente. Vom Šsthetischen Standpunkt her ist sie die schšnste.

Und nun zur Frage der Existenz des Schnittpunktes der drei HyperbelŠste.

Wenn wir die Hyperbeln mit dem Button ãHyperbel aus Brennpunkten und einem HyperbelpunktÒ zeichnen, kšnnen wir problemlos den Schnittpunkt zweier HyperbelŠste generieren. Der numerische Test, ob dieser Punkt auch auf dem dritten Hyperbelast liegt, verlŠuft positiv. So weit so gut.

Wenn wir die Hyperbeln nach der Abstandsdefinition mit Hilfe des Leitkreises als Ortslinien generieren, weigert sich das System, einen Schnittpunkt festzulegen.

Existiert der Schnittpunkt also doch nicht?

Interessanterweise ist es nun gerade die bei dynamischer Geometrie Software unbrauchbare Abstandsdefinition, welche einen Beweis gestattet, der wohl auch die GralshŸter der reinen Lehre pŠdagogisch befriedigt. Wir arbeiten mit den Bezeichnungen der Abbildung 9.

Abb. 9: Bezeichnungen

Es ist:

 

                                                                                      (7)

 

 

 

 

 

 

Es sei nun Q der Schnittpunkt von ha und hb. Wegen den ersten beiden Zeilen von (7) gilt daher:

 

                                                                                                         (8)

 

 

 

 

Addition der beiden Zeilen von (8) ergibt:

 

                                                                                                         (9)

 

 

 

Damit liegt Q auch auf hc. Dies war zu zeigen.

Nachdem der Schnittpunkt also existiert, stellt sich die Frage nach seiner geometrischen Bedeutung. Dazu zeichnen wir das Kreisbogendreieck der Abbildung 10. Jeder Bogen hat eine Dreiecksecke als Zentrum und beginnt und endet bei einem Hyperbelfu§punkt. Der Schnittpunkt der drei HyperbelŠste ist das Zentrum des Inkreises dieses Kreisbogendreieckes. Der Beweis arbeitet mit der Abstandseigenschaft der Hyperbeln.

Die Konstruktion dieses Inkreises ist ein Sonderfall des Problems des Apollonios.

Abb. 10: Kreisbogendreieck

7   Historisches

Die †berlegungen mit den Kegelschnitten im Dreieck gehen auf den flŠmischen Mathematiker und Mediziner Adriaan van Roomen (1561-1615) zurŸck. Er lšste das an sich mit Zirkel und Lineal lšsbare Problem des Apollonius (zu drei gegebenen Kreisen einen vierten berŸhrenden Kreis zu finden) mit Hilfe von Kegelschnitten.

 

Literatur

Walser, Hans (2012): 99 Schnittpunkte. Beispiele – Bilder – Beweise. 2. Auflage. EAGLE, Edition am Gutenbergplatz: Leipzig. ISBN 978-3-937219-95-0.

 

Weblink

Hans Walser: Der Inkreis. Vortrag

http://www.walser-h-m.ch/hans/Vortraege/20170209/index.html

 

Hans Walser: Inkreise von Bogendreiecken

http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/I/Inkreise_Bogendreiecke/Inkreise_Bogendreiecke.htm